Um 13:30 Uhr starten wir beim Wanderparkplatz des Wohnmobilstellplatzes Niestetal. Das Wetter ist sommerlich, schwül und heiß. Ein hölzernes Schild verrät uns, dass hier der Fuldauferweg beginnt:
3,5 Kilometer sind es von hier bis nach Spiekershausen, einem Ortsteil Staufenbergs in Niedersachsen, zu dem wir heute entlang der Fulda laufen wollen. Gelbe Blumen wachsen am Wegesrand, die
Blüten des giftigen Jakobs-Greiskrauts. Schon bald erhebt sich das Grün zu unseren Seiten höher und höher und umgibt uns schattig. Ein Weg, der nur ins Grüne zu führen scheint, denke ich und
vertreibe mit meinen Händen die kleinen Fliegen, die penetrant versuchen, in unsere Augen zu fliegen. Der Weg ist sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer gedacht, wobei wir vor allem Letztere
sehen. Immer wieder klingelt und es dann braust einer oder zwei oder eine ganze Gruppe von Radlern an uns vorbei. Eine Libelle lässt sich auf Samuels Schulter nieder. Wir nehmen sie noch eine
Weile mit, ehe sie sich wieder löst und davonschwirrt. Die Fulda zu unserer Linken ist eine braune Brühe. Heute, an diesem schönen Samstag, ist sie von Wassersportlern befahren. Motorboote rasen
darüber, Jetskis, lärmend wie bösartige Insekten. Das Wasser gerät in Bewegung, schlägt Wellen, die bis zu uns treiben und dort wild gegen das natürliche Ufer klatschen. Der Fluss scheint viel
Wasser zu tragen. Ein wenig mehr nur, und er würde über das Ufer treten und unsere Füße fluten. Das trübe Wasser, die Vegetation entlang des Ufers geben dem Areal ein südamerikanisches Flair. Die
Brennnesseln wachsen hoch und dominieren alles, Disteln gesellen sich dazu. Hier könnten Krokodile schwimmen. Die einzigen Tiere, die wir jedoch auf dem Wasser sehen, sind vier weiße
Schwäne.
Eine halbe Stunde später ist die Fulda ferner. Ein kleines, dichtes Waldstück trennt uns vom Fluss. Das Licht der Sonne dringt partikulär durch die Kronen und schimmert klar über uns. Durch das
Gebüsch huscht eine kleine Ratte. Bald haben wir das Wäldchen hinter uns gelassen. Eine hochwachsende, prächtig gelb blühende Pflanze zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich: Es ist die schwarze
Königskerze. Ihr Name macht ihr alle Ehre, obwohl die vielen Blüten am hohen Stängel so frisch gelb leuchten und wenig dunkel auf uns wirken. Diese Welt ist voller Pflanzen, die ich nicht kenne,
und ich wünschte, ich hätte drei Leben mehr Zeit, all ihre Namen zu lernen.
Nicht weit hinter den schwarzen Königskerzen beginnt Spiekershausen. Die Sonne brennt uns nun wieder auf die Köpfe. Zum Glück ist wenige Meter weiter das Restaurant Fuldagarten, wo wir uns direkt
an die Fulda setzen und Kaffee und Bier trinken und dazu ein Stück eines wenig überzeugenden Apfelkuchens essen.
Der Weg zurück ist wie alle Rückwege: mühsam. Die Hitze hat mich nun ausgelaugt. Ich werde langsamer und mache bei jeder Bank Pause, um Wasser zu trinken und aufs Wasser zu sehen. Der Weg durchs
Grüne öffnet sich wie ein verheißungsvoller Tunnel vor uns. Fahrradfahrer, Fußgänger und Boote überholen uns. Mäuse huschen vor uns über den Pfad. Eine liegt tot auf dem Rücken vor uns, die
Glieder gen Himmel gereckt. Weiße Schmetterlinge flattern in der Luft; der Flug der Libellen schimmert leuchtend blau zwischen den Blättern, so schön, dass wir stehen bleiben müssen, weil wir uns
nicht sattsehen können. Bienen und Hummeln besuchen Blüten und fliegen behäbig weiter. Wie in Trance wandeln wir zurück, bis wir wieder ganz am Anfang sind, dort, wo das Jakobs-Greiskraut blüht,
Wohnmobile parken, der Himmel schwerblau ist. Es scheint, als haben sich die Farben gewandelt. Von den heiteren, fröhlichen Sommerfarben zu einem erschöpft verwaschenen, vergilbten Ton alter
Fotos. Ich werde still und ein wenig melancholisch. Es ist 16:29 Uhr, als ich das Jakobs-Greiskraut fotografiere, um wenigstens eine kleine Erinnerung an diese drei Stunden auf dem Fuldauferweg
zu behalten. Müde machen wir uns auf den Heimweg.
In schwüler Mittagsstunde
Lieg´ ich am Bach ins Gras gestreckt;
Kein Laut in weiter Runde,
Der mich aus dämmerndem Traume weckt.
Leicht in den Lüften weben
Sommerfäden den silbernen Zwirn,
Halme und Gräser schweben
Über der Brust mir und über der Stirn.
Und Bienen und Schmetterlinge
Blaue Libellen umsummen mich leis:
Viel süßere, heimliche Dinge
Trag´ ich im Herzen, die keiner weiß.
(Richard von Volkmann)