Monaco beginnt da, wo Meer und Himmel verschwimmen. Wir sitzen im Zug und fahren an der Küste entlang. Das Licht des Tages ist schon verschwunden, doch wirklich dunkel ist es nicht. Ich könnte in
dieses dämmrige Blau hineinfallen und mich vergessen. Wann habe ich zuletzt das Meer gesehen? Es scheint mir eine Ewigkeit zurückzuliegen.
Monaco beginnt irgendwo im blauen Nirgendwo. Irgendwann kommen wir mit dem Zug an. Die Stadt kennt eine Dunkelheit, die dem Meer fremd ist. Wir treten aus dem Bahnhofsgebäude Monte Carlo und ich
kann mein Glück kaum fassen. Dies muss ein Traum sein. Samuel stimmt dem zu: Wir sind im Bus nach Nizza eingeschlafen und einfach nicht aufgewacht. Dieser Ort entspringt nur unserer Fantasie. Wir
stehen weit oben und die Lichter der Stadt leuchten unter uns, über uns, um uns. Weit zu unseren Füßen liegt der Hafen mit seinen Booten und Jachten und dahinter: mehr Meer. Es ist so warm mitten
im März und spät am Abend, dass ich einen Luftsprung machen könnte. Wir sind im Süden angekommen. Weil wir Fremde in der Fremde sind, gehen wir unnötig lange Wege. Wir haben den Bahnhof, der sich
über mehrere Höhenlagen der Stadt erstreckt, zu weit unten verlassen und laufen nun einen romantischen Pfad hinauf, der hell erleuchtet ist und zur Seite das Panorama von Stadt, Hafen und Meer
bietet. So wunderschön der Ort ist, so erschöpft sind wir auch von der langen Reise. Der Code zur Eingangstür unseres AirBNBs in Beausoleil auf franzöischer Seite funktioniert nicht und wir
können das Gebäude nur betreten, weil andere Anwohner uns glücklicherweise einlassen. Samuel holt uns etwas zu essen, während ich versuche, die Vermieterin zu erreichen und das Problem zu klären.
Die Sache mit dem Code versteht sie nicht, aber unser Schlüssel hat einen Badge, der die Tür öffnen kann. Problem gelöst. Unsere Wohnung selbst ist klein und unspektakulär, aber sauber und
absolut zentral gelegen. Mehr haben wir nicht erwartet. Nach dem Essen erkunden wir noch unsere nahe Umgebung. Alles leuchtet hier golden, Palmen und andere exotische Pflanzen wachsen überall und
die Straßen Beausoleils sind mit Sonnen gepflastert. Wir holen uns noch Bier und Tee und verschieben alles Weitere auf den nächsten Tag.
Ein paar Treppen hinunter ist die Boulangerie Eric Kayser, wo wir unseren ersten Café au Lait am nächsten Morgen trinken und ich mein erstes Pain au Chocolat esse, auf das noch viele folgen
werden. Der Himmel ist strahlend blau und durchzogen von weißen Wolkenfetzen. Neben uns ist Markt und Händler preisen laut auf Französisch ihre Ware an. Welch ein Treiben – und wir sitzen als
zufriedene Beobachter daneben und frühstücken in aller Ruhe. Samuel prostet mir mit seinem Kaffeebecher zu und nimmt einen herzhaften Bissen von seinem Panino.
Ein paar weitere Treppen hinab liegt schon Monaco. Vor uns erstrecken sich die Gärten des Casinos, die vom Architekten Edouard André angelegt wurden: eine exotische Oase inmitten der
hochmodernen, blau schillernden Gebäude des Zentrums. Wir stürzen uns in den sonnendurchfluteten Park, wo hohe Bäume lange Schatten werfen. Hinter den üppigen Büschen, Sträuchern und Farnen ragt
mächtig das berühmte Casino in unser Blickfeld. Wir flanieren wie beseelt durch das Pflanzenparadies und genießen von einem kleinen Springbrunnen aus die Aussicht auf das prächtige Casino, das
1863 offiziell eröffnet wurde. Davor prangt der Sky Mirror, eine Installation von 1999. Darin spiegelt sich – wer hätte es gedacht – der Himmel und scheint die Welt in dieser Verkehrung
komisch zu verrücken. Wir können das Meer nun schon riechen und folgen seinem Duft. Bald blicken wir, nun im Tageslicht, auf den Port Hercule, zu deutsch: Herkuleshafen, den zentral gelegenen
Yachthafen des Fürstentums Monaco. Wie wunderbar blau das Wasser ist, wie weiß und glänzend darin die Yachten, die ich mir nie leisten können werde und auch nicht wirklich brauche. In
unmittelbarer Nähe des Hafens und direkt unterhalb des Geländes des Casinos lässt es sich wunderbar mit Blick aufs Meer flanieren. Kunstwerke säumen den Weg. Besonders schön finde ich das Mosaik
„Hexagrace – Le Ciel, la Mer, la Terre“ von Victor Vasarély, dessen Farbenpracht in verschiedenen Blautönen ausläuft, die wie ins Meer zu münden scheint. Auf den Mauern sitzen Möwen und sperren
ihre Schnäbel weit auf. Wir gehen ein wenig in alle Richtungen, Hauptsache so nahe am Meer wie möglich. Ich will es sehen und nicht mehr vergessen. Das Meer ist blau, der Himmel ist blau. Der
Blick so weit. Eigentlich wollen wir zum Jardin Exotique, landen aber zufällig auf einem Pfad, der, immer noch in Küstennähe, einen kleinen Berg hinaufführt. Und plötzlich sind wir in
Monaco-Ville, dem ältesten und kleinsten Stadtbezirk Monacos, der sich als wahre Perle entpuppt. Die historische Befestigung, die heute als Altstadt gilt, liegt auf einer felsigen Halbinsel. Das
Mittelmeer ist überall, wo wir auch hingucken. Hier ist unter anderem der Fürstenpalast der Grimaldis, das Ozeanografische Museum sowie die Kathedrale Notre-Dame-Immaculée. Hier oben auf der
Festung fühlt es sich fast noch wärmer an als unten. Vor dem Palast steht eine echte Wache stramm und über uns leuchtet die Sonne. Uns plagt allmählich der Hunger, und so biegen wir in eine
dunkle Seitengasse ab, auf der Suche nach etwas erschwinglichem Italienischen. Bei einer kleinen Bude holen wir uns Pizza und verspeisen diese auf einem Mäuerchen mit Blick aufs Meer. Könnte es
uns besser gehen? Danach ist die Kathedrale nicht weit. Sie ist strahlend weiß, ist allerdings noch gar nicht so alt. 1875 bis 1903 wurde sie in neoromanischem Stil erbaut und 1911 offiziell
eingeweiht. Wir spazieren durch die hohen Hallen, bewundern Mosaike und das goldene Licht an der Decke. Zwischen Palmen, die Früchte tragen, die aussehen wie Ananas, tötet ein vermutlich Heiliger
einen armen Drachen. Ich setze mich eine Weile still auf eine Bank und versuche, zu mir zu kommen, so dass Samuel mich nicht mehr findet und ohne mich hinaus in die Sonne geht. Ich folge wenig
später. Noch immer hoffen wir, zum exotischen Garten zu gelangen, und eine Beschilderung verspricht, uns dorthin zu führen. Allerdings weist sie mal hierhin, mal dorthin. Aus dem Nichts taucht
nun wieder ein solches Schild vor uns auf – und wir versuchen es noch einmal. Zufällig landen wir nun in den Jardins Saint-Martin – einem Park, dessen Schönheit ich kaum glauben kann. Er war der
erste öffentlich errichtete Park des Fürstentums und wurde 1816 angelegt. Ganz dem Zeitgeist entsprechend lauert hier romantischer Charme hinter jeder Ecke – und dahinter wiederum das blaue,
blaue Meer. Ursprünglich waren die Gärten mediterran mit Kiefern, Steineichen, Myrten und Pistazienbäumen angelegt. Erst später wurden sie exotisch aufbereitet. Ich fühle mich wie in einem bunten
Dschungel zwischen all den Farnen, Rosen und urig wachsenden Stämmen. In der Mitte des Gartens liegt ein Wasserbecken und hier stehe ich lange und höre dem Plätschern der Fontänen zu. Rote Blüten
blühen im dunkelgrünen Dickicht. Eine Statue zweier eng umschlungener Liebender steht zwischen Blumen in rosa, rot, violett und türkis. Hinter ihnen bricht sich das Licht der Mittagssonne. Wir
folgen den verschlungenen Pfaden, bis wir auf einem Felsvorsprung gegenüber dem Meer landen. Wir sehen hinab, beobachten, wie das Wasser sich an den Felsen dort unten bricht. Weiter unten finden
wir ein kleines Amphitheater. Den Hang hinab wachsen goldene Beeren.
Schließlich finden wir noch den Weg zum eigentlichen exotischen Garten – er führt über viele Aufzüge die Stadt hoch und höher hinauf. Am Ende stehen wir vor dem Eingang, der uns verschlossen
bleibt, denn hier wird gerade alles renoviert. Eigentlich stört uns das wenig. Wir haben so viel Schönes heute gesehen. Das Fürstentum scheint in Wahrheit ein großer Garten zu sein.
Für unseren zweiten Tag haben wir uns eine herrliche, kleine Wanderung nach Westen entlang der Küste vorgenommen. Das Wetter ist schon wieder unverschämt gut. Durch die Stadt wandern wir zum
Plage Marquet. Gleich hinter dem zugehörigen Parkplatz beginnt ein idyllischer Weg, der direkt in den Stein der Felsklippen zu Füßen des Meeres gehauen wurde. Die Sonne glitzert auf dem Wasser.
Jogger überholen uns immer wieder aus allen Richtungen; wir flanieren gemütlich, tanken gründlich Sonne und Meer nach einem langen Winter. Staunen über Felsformationen. Die prächtigen Villen zu
unserer Rechten, die mediterrane Vegetation. Eine Treppe führt hinab ins Wasser und Samuel folgt ihr, wie er jedem Pfad ins Nirgendwo gerne folgen würde. Vor dem Pointe des Douaniers, einer
grünen Landspitze, die weit ins Meer hinaus führt, liegt ein kleiner, versteckter Strand. Freudig steigen wir dort hinab, um die Hände ins Wasser zu halten. Ich verliere fast meine Sonnenbrille
ans Meer und Samuel hat sofort nasse Schuhe. Egal – die Sonne wird es trocknen. Wir umrunden die Landzunge und folgen dann dem Weg weiter Richtung Cap Rognoso und Cap Mala. Dahinter verbirgt sich
eine Bucht, von Klippen umgeben. Sie ist unser Endziel. Hier endlich ziehe ich meine Schuhe aus und kremple die Jeans hoch. Das Meer ist kalt um die Knöchel, der Sand hart unter den Füßen. Es ist
wunderbar. Ich gehe hin und her am Strand, im Wasser, während Samuel sich sonnt. Bald liegen wir nebeneinander und vergessen die Zeit. Erst als mein Gesicht sich heiß anfühlt, gehen wir weiter.
In einem nahen Restaurant bekommen wir köstliche Pasta, Samuel hervorragende Spaghetti Carbonara und ich Tagliatelle mit Gorgonzola-Soße. Die Sonne geht gemächlich unter, während wir den Rückweg
entlang des Küstenpfades antreten.
Für den nächsten Tag haben wir uns die Berge vorgenommen, die so malerisch hinter Monaco am Meer aufragen. Unser Ziel ist die französische Gemeinde La Turbie, die wir zu Fuß erklimmen wollen. Von
Beausoleil aus folgen wir den vielen Treppen, die uns in die angrenzenden Berge führen. Orangen wachsen an den Bäumen der städtischen Gärten und ich finde das einfach hervorragend. Wir laufen an
gelben Hausfassaden vorbei, an pittoresken Mäuerchen, an blau angestrichenen Balkonen. Langsam wird die Stadt zu unseren Füßen kleiner. Natürliche Grünflächen nehmen wieder zu. Bald schon haben
wir La Turbie erreicht – und ich bin entzückt von den verwinkelten Gässchen, der urigen Altstadt, einem kleinen Brunnen, der dort steht. Hier gibt es einiges zu sehen, doch wir wollen nur das
Tropaeum Augusti sehen, ehe wir uns einer Wanderung widmen wollen. Der Eintritt lohnt sich, mehr als wir dachten, denn zum Denkmal gehört ein Pflanzenparcours, der vom Architekten Jules Formigés
gestaltet wurde. Es eröffnet sich uns ein atemberaubender Blick auf die Bucht von Monaco. Auch die Gartenanlage ist bezaubernd: Formigés hatte ausschließlich wild wachsende Gebirgspflanzen
ausgewählt, so dass das Gelände einen wilden Charme erhält. Das Tropaeum können wir erklimmen. Die Ruine rühmt den Sieg des römischen Kaisers Augustus über die Alpenvölker. Dem zu Ehren wurde das
Tropaeum 7–6 v. Chr. errichtet, auf dem Pass von La Turbie, dem höchsten Punkt der Via Julia, die Augustus hatte bauen lassen, um den Handel mit den Galliern zu befördern. Oben gewährt sich uns
nicht nur der Blick aufs Meer, sondern auch auf den Pflanzenparcours. Wir steigen wieder hinab und flanieren durch den nahe gelegenen Olivenhain, der so schön ist, dass Samuel hier gerne für
immer bleiben möchte. Trotzdem verlassen wir die Anlage, denn die Wanderung ruft. Durch ein lichtes Wäldchen verabschieden wir uns von La Turbie und befinden uns bald auf einem idyllischen
Wanderweg, der zur Linken immer den Blick aufs Meer freigibt, bald auch verschlungen wird. Die Sonne ist uns wieder gewogen. Wir lassen alle Kultur hinter uns und geben uns ganz der Macchia und
den schroffen Bergformationen hin. Unser Ziel ist La Tête de Chien, der Hundekopf, auf 550 Metern Höhe oberhalb des Cap d’Ail, wo wir gestern waren. Der Weg ist nicht nur wunderschön, sondern
auch sportlich. Nach geraumer Zeit führt er ins Tal hinab, wo er herrlich am Meer entlangführt, ehe es wieder hinaufgeht. Das Wetter zieht etwas zu und sorgt für imposante Lichtstimmungen. Am
Hundekopf sind wir nicht die Einzigen. Zwei Jugendliche sitzen sorglos auf einer Mauer, hinter der es steil bergab geht. Ich bin froh, dass sie schon besetzt ist. Das einzigartige Panorama des
Hinwegs bietet der Rückweg ebenfalls. Unsere Füße spüren wir zwar, doch nicht so sehr, dass wir in La Turbie Lust haben, 50 Minuten auf den Bus zu warten. Stattdessen kehren wir nach Monaco
zurück, so, wie wir es verlassen haben: zu Fuß.
Unser letzter voller Tag im Paradies beginnt. Können wir toppen, was wir alles gesehen haben? Küstenpfade am blau glitzernden Meer entlang, verwunschene Wege in der Macchia der Berge – und immer
Sonne?
Wir wollen es versuchen, und am besten glückt das mit Leckereien am Morgen. Heute ist die Boulangerie Artisan direkt vor unserer Wohnung geöffnet, die wir seit unserer Ankunft eigentlich testen
wollten. Hier bekommen wir Cappuccino und Viennoiseries. Ich finde, es gibt wenig schönere Momente in der Stadt, als am Morgen beim Bäcker zu sitzen, dem Straßentreiben zuzusehen und dabei
genüsslich ein Pain au Chocolat zu verspeisen. Vor allem, wenn danach ein Tag voller glückhafter Überraschungen auf einen wartet. Heute setzen wir uns in den Zug, was billig und unkompliziert
ist. So fahren wir nach Bealieu-sur-Mer auf französischer Seite, wieder gen Westen. Das Cap d’Ail passieren wir dabei. Allein die Zugfahrt ist ein Traum, weil wir das Meer immer im Blick haben.
Unser Entdeckerdrang ist groß und wir sind froh, als wir endlich ankommen. Auch heute: Sonne pur. Wir haben ganz vergessen, dass es erst März ist. Vom Bahnhof aus laufen wir gezielt nach Süden in
die Landzunge, das Cap Ferrat hinein, die wie das Cap d’Ail malerisch ins Mittelmeer ragt. Ein Wanderweg soll entlang der Küste um die Halbinsel führen, und diesen suchen wir. Zuallererst aber
haben wir einen Besuch der Villa Ephrussi de Rothschild geplant, einem prächtigen Palast im Neorenaissance-Stil, der auf dem Weg liegt. Erbaut wurde er für die Baronesse Béatrice de Rothschild,
die eine Liebhaberin der Kunst der Belle Époque war. Die Villa ist Ausdruck ihrer Sammelleidenschaft. Nach ihrem Tod vermachte die Baronin ihren Palast der Académie des Beaux-Arts. Das besondere
Highlight der Villa sind für uns die neun Gärten, die, mit Blick aufs Meer, den Palast umrunden. Nachdem wir zur Genüge das aprikosenrote Gebäude bestaunt haben, beginnen wir die Gartentour:
durch den schattigen Innenhof des spanischen Gartens, bepflanzt mit Philodendren, Papyrus, Strelitzien, Grenadieren und Stechäpfeln, weiter zum florentinischen Garten, mit Blick auf die Bucht von
Ville Franche, zum Steingarten mit seinen Wasserspeiern und Felsspalten, hin zum japanischen Garten mit seinen Azaleen und Gardenien und dem Teegarten, durch den exotischen Garten mit riesigen
Kakteen und anderen kuriosen Gewächsen, weiter in den Rosengarten und schließlich in den provenzalischen Garten, bepflanzt mit Olivenbäumen und durch den Wind gebogenen Pinien, wo es nach
Lavendel duftet. Der größte Garten ist der symmetrisch angelegte französische Garten im Mittelpunkt der Parkanlage direkt vor der Villa. Er wird von einem Teich im Zentrum beherrscht, der von
Seerosen und Wasserhyazinthen belegt ist. In der Mitte befindet sich ein Springbrunnen, der plötzlich startet – untermalt von klassischer Musik, die aus dem Nirgendwo ertönt. Auch hier wachsen
Orangen an den Bäumen. Samuel liest eine vom Boden auf und steckt sie in seine Tasche. Die Villa selbst ist so groß, dass wir in keinem Raum lange verbleiben, weil wir schließlich noch wandern
wollen. Trotzdem bleibt mir das feine Porzellan und die bemalten Tapeten in Erinnerung, die prächtigen Gemächer mit den feinen Kleidern, die Salons mit Blick aufs Meer, die frischen Blumen in
alten Vasen.
Vor der Villa setzen wir uns zum Abschluss auf eine Bank, gucken aufs Meer und essen unsere Orange. Sie ist so süß. Dann machen wir uns auf den Weg, der die Insel umrunden soll. Bald haben wir
ihn erreicht. Nichts als Wasser zu unserer Linken und die Felsen und die Gischt. Heute schimmert das Meer silbern, wilde Blumen leuchten gelb. Wir besichtigen die schwarze Madonna einer nahe
gelegenen Kirche, die eher blau als schwarz ist und eine goldene Krone trägt, und kehren dann zu unserem Weg zurück. Ein verwunschener Wald tut sich zu unserer Rechten auf, darüber thronen hohe,
rötliche Klippen. Und dann müssen wir weit vorne sein, dicht an der Spitze, denn die angrenzenden Küstenregionen sind nun nicht mehr zu sehen, nur noch Meer, wohin wir auch schauen. Die Felsen
davor sind nun schwarz und weiß. Die Sonne geht allmählich unter und Wolken ziehen auf. Samuel turnt über die Felsen und ich gehe einfach nur den Weg entlang, der so aussieht, als könnte er
plötzlich direkt ins Meer münden, das mich einfach verschlucken würde. In der Ferne sehen wir bald einen Leuchtturm, den wir jedoch aus Zeitgründen nicht erklimmen. Stattdessen folgen wir weiter
dem Weg am Meer entlang, blicken in verwinkelte Buchten und bewundern exotische Gewächse, wie wir sie hier sind. In der untergehenden Abendsonne schließen wir den Küstenweg, nostalgisch und doch
auch froh, die Füße müde und die Herzen wohlig erfrischt.
Auch unser letzter Tag bringt Sonne. Und schlechte Laune meinerseits, die ich hartnäckig zu verbergen suche. Wie kindisch. Das Problem ist einfach, dass ich nicht fahren will. Können wir nicht
für immer hierbleiben? Unser Gepäck dürfen wir bis Mittag in der Wohnung lagern. So haben wir noch Zeit, einen Kaffee zu trinken und dann durch den japanischen Garten Monacos zu flanieren, stolze
Enten auf schmalen Brücken zu bewundern und schließlich wieder auf einen Weg zu geraten, der uns die Küste entlang nach Osten führen soll. Zum Cap Martin werden wir es heute wohl nicht mehr
schaffen, dafür ist die Zeit zu kurz. Doch noch einmal sind uns prächtige Palmen an kitschigen Sandstränden vergönnt, Möwen, die wie im Urlaub vor einem glitzernden Meer sitzen und die Sonne
genießen, Hunde, die artig am Strand darauf warten, von ihren Frauchen in Szene fotografiert zu werden. Noch einmal lassen wir die Stadt hinter uns, verlieren uns im mediterranen Gebüsch und
Gefels, und ich blicke sehnsüchtig in dieses türkis schimmernde Wasser, voller Wehmut, dass diese Zeit vorübergehen muss. Als es so weit ist, kehren wir um. Still laufen wir den Weg mit Blick auf
die See zurück.
In der Wohnung schultern wir unser schweres Gepäck und finden nun den Weg zum Bahnhof geschwind. Mit den Aufzügen, die überall in Monaco die Höhenunterschiede begehbar machen, fahren wir hinab,
hinab, hinab, bis zum Gare de Monte Carlo. Das Ticket gezogen, in den Zug gestiegen, die Nase sehnsüchtig ans Fenster gepresst. Adieu, Monaco, adieu. Du wirst uns fehlen.
Ruhlos ist unser Leben und rastlos unser Ich.
Wir müssen weiter ziehen. Warum? So fragt ihr mich.
Weil wir die Ferne lieben, es nirgendwo uns hält,
wir müssen weiter ziehen, ruhlos in dieser Welt.
So wie die Ströme fließen, rastloser Wellenschlag,
so ziehen Wanderburschen den fernen Zielen nach.
(Henriette Hanke)