Als eingebürgerte Hessin beschließe ich Wiesbaden, der Landeshauptstadt, einen Besuch abzustatten. Ich treffe Bea im Zug, die schon in Göttingen eingestiegen ist und uns einen schönen Vierer
reserviert hat. Neben uns, auf der anderen Seite des Ganges, liegt ein junger Mann in den Sitz gelümmelt und schnarcht, dass der Zug wackelt. Wir versuchen das tapfer zu ignorieren. Unsere Freude
ist groß, als wir in Frankfurt endlich aussteigen und die S-Bahn nach Wiesbaden nehmen. Dort am Bahnhof treffen wir einen Freund aus Tübinger Studienzeiten: Gabriel. Gabriel wohnt nun in Mainz
und kennt sich daher ein wenig in Wiesbaden aus. Er kann uns sogleich zur nächsten Bushaltestelle führen und weiß, wohin wir fahren müssen. Zuerst holen wir auf, was wir die letzten Jahre
versäumt haben: miteinander zu reden. Gabriel hat sich ein Café zum Brunchen empfehlen lassen, das „Du & Ich“ in der Neugasse. Es fühlt sich gut an, so früh am Morgen hier zu sein, in einer
Stadt, die ich nicht kenne. Mit Freunden durch diese fremde Altstadt zu gehen und dann ins Warme zu treten. Wir müssen eine Weile auf einen Tisch warten, trinken in der Zeit, auf Hockern sitzend,
Heißgetränke. Die Brunch-Auswahl ist hervorragend. Bea und ich entscheiden uns nach langem Zögern für die Eggs Benedict und Gabriel nimmt eine Bowl. Wie schwierig es ist, sich zu entscheiden,
sage ich, und Gabriel meint, dass ich dann ja immer in meiner Mitte ruhen würde. Das hätte er auf der Bühne gelernt. Darüber muss ich nachdenken. Ist das wirklich so?
Durch den Brunch gestärkt, machen wir uns wieder auf den Weg. Ich habe mir von einer Freundin aus Wiesbaden Tipps geben lassen, was man am besten machen kann, wenn man nur einen einzigen Tag zur
Verfügung stehen hat. Also flanieren wir durch die Februarkälte direkt zum Kochbrunnen. Ich kann es kaum glauben: eine Thermalquelle! In Wiesbaden.
Bea weist mich auf das Baden in Wiesbaden hin und dass wir uns das ja hätten denken können. Stimmt. Irgendwie hatte ich im Zusammenhang mit Wiesbaden nie an einen Badeort gedacht. Das
Natrium-Chlorid hat den Stein des Brunnens gelb, orange und braun gefärbt, das dampfend heiße Wasser riecht nach faulen Eiern und erinnert mich an Island. Unter einem Pavillon befindet sich eine
weitere heiße Quelle, die munter sprudelt. Das Wasser darf man sogar trinken, es wird als Trinkkur empfohlen. Danach ist mir allerdings weniger. Wir stecken die Finger ins heiße Wasser, um zu
überprüfen, ob es kocht, und gehen dann weiter zum Kurhaus. Bereits die Römer wussten vor über 2000 Jahren die Thermalquellen Wiesbadens zu schätzen und nun treten wir ins 19. Jahrhundert ein,
direkt in einen klassizistischen Prachtbau. Im Kuppelraum des Foyers stehen Tische mit weißen Tüchern bedeckt, vielleicht für eine Hochzeitsgesellschaft. Draußen, auf der majestätischen Treppe
ließ sich nämlich eben eine Braut in weißem Kleid fotografieren. An den Wänden oben prangen Mosaikmedaillons, die römische Götter zeigen. Und übergroß thronen an den Wandmassiven Kopien
griechischer Götterstatuen.
„Guck mal, eine goldene Kugel“, sagt Bea. Ich trete neugierig näher und stelle fest, dass es sich um einen goldenen Helm handelt. Die Göttin in weiß blickt, einen goldenen Speer in der linken
Hand, auf ihren Helm in der rechten.
„Wenn das nicht Athene ist!“, freue ich mich.
Wieder draußen betrachten wir einen hübschen, blauen „Postbriefkasten“ mit goldenen Lettern, der an längst vergangene Zeiten erinnert. Wenn sie nur alle so hübsch wären!
Wir lassen uns von hier ein wenig treiben. Spitzen in die rotsteinige Marktkirche und lassen uns dann im Maldaner nieder, einem Kaffeehaus, das 1859 von einem Adam Maldaner eröffnet wurde. Wir
bleiben im 19. Jahrhundert. Von Island fühle ich mich nun nach Wien katapultiert. Die Kellnerinnen eilen mit Rüschenschürzen und die Kellner mit ordentlichen Anzügen von Tisch zu Tisch. Wir
setzen uns direkt vor einen der gigantischen Spiegel, die den Raum noch größer wirken lassen, als er sowieso ist. Gabriel bestellt Kuchen und Bea und ich jeweils ein Petit Four. Hier im
Kaffeehaus ist es so warm, dass wir müde werden. So machen wir uns bald wieder auf den Weg, spazieren zurück zum Kochbrunnen, meinem persönlicher Dreh- und Angelpunkt Wiesbadens, und von dort
durch die Nerostraße. Eine kleine Seitengasse führt einen Hang hinauf ins Bergkirchenviertel. Dort finden wir, wer hätte es gedacht, die Bergkirche, die wir nur gemütlich umrunden, weil sie nicht
geöffnet ist.
Weiter den Hang hinauf wird es trist. Wir kehren um, bergab geht es schneller und leichter. Wir sind alle etwas müde vom Laufen, vielleicht auch von der Kälte. Gabriel weiß, wie wir von hier zum
Bahnhof kommen. Hinter den Gleisen sitzen wir noch eine Weile auf einer Bank, albern herum, tauschen unsere Mützen aus und Gabriel zieht mir eine Jogginghose über den Kopf, die er aus seinem
mysteriös großen Rucksack gezogen hat.
Und so trennen sich unsere Wege wieder. Gabriel steigt in die Bahn nach Mainz, wir in den Zug nach Frankfurt.
„Ein schöner Tagesausflug“, sage ich zu Bea, als wir losfahren. Und Bea antwortet: „Ja. Wo gehen wir als nächstes hin?“
Was freut dich so? Möcht´s wissen, mein Herz.
Ach, meint das Herz, das kann ich nicht sagen.
Vielleicht ist´s nur allein der März,
Und daß die Bäume nun Knospen tragen.
Und daß die eine dir gestern die Hand
So herzlich gedrückt. Wer will es sagen?
Im Frühling ist alles aus Rand und Band.
Warum? Darum! Nun laß dein Fragen.
(Gustav Falke)