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Fürth

Die Glocken läuten das neue Jahr ein und unsere Sektgläser sind noch leer. Schnell schenken wir ein, stoßen an. Wir stehen an den Fenstern und sehen hinaus ins dunkle Fürth, wo vereinzelte Feuerwerkskörper den Himmel erhellen. Viel ist es nicht, der Verkauf war ja verboten. Wir reißen die Fenster auf. Unten auf der Straße gehen Menschen, betrunken, rufend, Glas zerbricht auf dem Boden. Wir versuchen, uns zu erinnern, was wir letztes Silvester getan haben, doch es will uns nicht einfallen. Ich lauere auf ein gutes Foto von diesem mickrigen Feuerwerk. Die Nacht ist mild, fast sommerlich. Immer dann, wenn ein schönes Feuerwerk startet, sitze ich plötzlich doch auf dem Sofa. Dann springe ich auf, aber zu spät. Irgendwann klappt es dann endlich. Wie ein leuchtender Drache schlängelt sich das Ungetüm in die Höhe, um schließlich zu explodieren und orange glühend aufzufächern. Schön ist das, aber auch so viel Müll. Wir rätseln, wie viele Tote Silvester jedes Jahr fordert.
Vor dem Haus fährt ein Zug vorbei. Die Abteile sind hell erleuchtet und wirken leer. Dass zu so später Stunde Züge fahren, wundert mich.
Am schönsten sind die Goldtupfer, die ab und an über der Tankstelle gegenüber aufploppen. Weniger schön ist der Lärm, der uns fragen lässt, ob sich Krieg so anhört. Wirklich wissen wollen wir es jedoch nicht.
Mo verabschiedet sich als Erster, um schlafen zu gehen. Während Lola, Tom und Agnes unser Bettenlager im Wohnzimmer herrichten, gehe ich ins Bad. Meine Lippen sind blau vom Wein. Hoffentlich ist die Farbe morgen verblasst.
Erst kann ich nicht einschlafen. Ich bin aufgeregt. Wieso, weiß ich nicht. Ich liege zwischen Agnes und Tom, sehe die Stuckdecke über mir an. Und irgendwann bin ich weg.

Mit Lola will ich am nächsten Morgen Brötchen vom Bäcker holen. Doch der hat zu, wie wir schon vermutet hatten. Wir gehen stattdessen zum Rewe to go, wo wir auch diverse Plunderteilchen bekommen, allerdings nicht die von Mo heiß begehrte Bärentatze – was auch immer das ist. Auf den Straßen liegen Scherben und goldenes Konfetti. Niemand ist außer uns unterwegs.
Agnes hat Kaffee zubereitet. Wir teilen die Gebäckstücke, plaudern, machen noch ein Abschiedsfoto – dann muss ich auch schon los. Tom fährt mich zum Bahnhof. Fürth ist schön, bemerke ich, die Häuser wirken herrschaftlich, klassisch, hoch und fein. Tom spricht von den reichen Fürther Kaufleuten, die später beleidigt waren, weil es den begehrten Bahnanschluss nur für Nürnberg gab. Mittlerweile hat sich das natürlich geändert, wenn gleich der Bahnhof in Fürth den heruntergekommenen Charme einer Film-noir-Kulisse versprüht.
Mein Zug ist pünktlich. Ich sehe Tom nach, wie er die Treppe hinuntergeht und dann um die Ecke verschwindet. Schnell steige ich ein und setze mich. Ich würde gerne noch ein paar letzte Blicke auf die Stadt erhaschen, doch die Toilette versperrt mir die Sicht.
Ich schließe die Augen, lasse das helle Feuerwerk vor meinen Augen leuchten, die Funken sprühen. Nur das Knallen und Krachen, das gibt es jetzt nicht mehr. Hier ist alles still.

 


Und nun, wenn alle Uhren schlagen,
So haben wir uns was zu sagen,
Was feierlich und hoffnungsvoll
Die ernste Stunde weihen soll.

Zuerst ein Prosit in der Runde!
Ein helles, und aus frohem Munde!
Ward nicht erreicht ein jedes Ziel,
Wir leben doch, und das ist viel.

Noch einen Blick dem alten Jahre,
Dann legt es auf die Totenbahre!
Ein neues grünt im vollen Saft!
Ihm gelte unsre ganze Kraft!

Wir fragen nicht: Was wird es bringen?
Viel lieber wollen wir es zwingen,
Daß es mit uns nach vorne treibt,
Nicht rückwärts geht, nicht stehen bleibt.

Nicht schwächlich, was sie bringt, zu tragen,
Die Zeit zu lenken, laßt uns wagen!
Dann hat es weiter nicht Gefahr,
In diesem Sinne: Prost Neujahr!


(Ludwig Thoma)