Da wir unser Quartier noch nicht beziehen konnten, wagten wir uns gleich an die Glanznummer der Region: Maligne Lake. Ein See im Jasper-Nationalpark, etwa 50 Kilometer südlich der Stadt Jasper.
Zum Glück war gar nicht so viel los und wir konnten gerade noch die drei letzten Plätze auf dem Schiff ergattern, das uns über den See fahren sollte. Wir nahmen ganz schön Fahrt auf. Der Wind
wehte uns die Haare aus dem Gesicht. Mit Leichtigkeit überholten wir ein paar arme Kanupaddler, die uns unverschämt ihre nackten Hintern zeigten. Wir trauten unseren Augen nicht! Wir passierten
First und Second Island und kamen schließlich zur viel gerühmten Spirit Island, einem weltweit beliebten Motiv von Landschaftsfotografen. Natürlich musste auch S. sein Glück versuchen. Das
Wasser, sanft vom Wind bewegt, schlug kleine Wellen. Vom sandigen Ufer, wo wir Halt gemacht hatten, bildeten große Steine eine Art natürliche Brücke zu einem Inselchen, ein Stück Land nur,
bewachsen von einer adretten Gruppe Nadelbäume. Dahinter die schneebedeckten Berge, darüber weiße Wolkenschlösser, die einen Wetterumschwung ankündigten.
Während unserer Rückfahrt regnete es heftig. Die großen Tropfen zerschlugen die stille Wasseroberfläche mit tausenden von kleinen Kreisen und ließen uns die Köpfe senken.
Dieses Land.
Die Straße zurück nach Jasper war wieder wie eine Reise durch den Zoo. Wir begegneten einem Schwarzbären, dann einer Schwarzbärenmutter mit ihren beiden Jungen, die schnell in den Wald
flüchteten. Und überall Wapitis. Wir hielten am Medicine Lake und fanden das Nest eines Weißkopfseeadlers mit seinem Bewohner höchstselbst darin. Im Hotel war unsere Überraschung groß: Erst durch
das Heranzoomen am Laptop erkannten wir, dass neben dem ausgewachsenen Adler noch das Junge saß.
Abends fuhren wir zum Mount Edith Cavell. Dort befand sich ein Gletschersee, dem man sich wegen Lawinen- und Überflutungsgefahr nicht nähern sollte. Wir taten es trotzdem. Nichts passierte.
Zurück im Auto, wieder den Berg hinab, sahen wir wieder einen Grizzly. Er war enorm nahe an uns und wir trauten uns nicht, aus dem Auto zu steigen und ihn zu fotografieren. So blieben wir sitzen
und sahen das Tier an, bis es wieder verschwand.
Kleine Tierchen, von denen ich noch nicht viel geschrieben habe, sind die Mücken. Es hätte wesentlich schlimmer sein können mit den Moskitos in Kanada, trotzdem wurden allmählich ihre Zeichen an
mir offenbar. Auf meiner Stirn prangte ein besonders dicker Stich. Es sah aus, als wäre ich irgendwo dagegen gelaufen. Zwei weitere Beulen blühten mir mitten im Gesicht. Eine Mücke hatte mich
sogar auf dem Kopf gestochen, zwischen den Haaren. Auch der Stoff meiner Hose war für sie kein Hindernis. Ich befürchtete, dass ich in wenigen Tagen vollkommen zugeschwollen nach Deutschland
zurückkehren würde. Wenigstens juckten die Stiche nicht sonderlich.
Die Tierbilanz war bisher ganz hervorragend gewesen. Nie hätten wir gedacht, so viele verschiedene Arten zu sehen. Bisher waren uns begegnet:
1. Mountain Cottontail (Hase)
2. Pika (Riesenmaus)
3. Columbian Ground Squirrel (Erdhörnchen)
4. Red Squirrel (Eichhörnchen)
5. Albert’s Squirrel (Eichhörnchen)
6. Golden-mantled Ground Squirrel (Erdhörnchen)
7. Chipmunk
8. Baumstachler
9. Hoary Marmot (Murmeltier)
10. Grizzly
11. Schwarzbär
12. Wapiti
13. Mule Deer
14. White-tailed Deer
15. Common Loon (Ente)
16. Kanada-Gänse
17. Great Blue Heron (Reiher)
18. Felsengebirgshuhn
19. Weißkopfseeadler
20. Kolibri
21. Kojote
Und viele andere Vögel und Schmetterlinge ...
Am nächsten Tag, nach einem Frühstück, das aus Kaffee und übersüßen Zimtschnecken bestand, stiegen wir zeitig ins Auto, um noch einmal zum Maligne Lake zu fahren. Auf der Rückfahrt sahen wir
wieder wilde Tiere: Am Straßenrand tat sich ein Schwarzbär am Gras gütlich. Wir waren erst das zweite Auto, das hielt. S. stieg sofort aus und fing an zu fotografieren. Ich filmte den Bären
unterdessen, wie er zwischen dem roten Indian Paintbrush weidete.
Wenige Meter danach mussten wir wieder halten, weil schon der nächste Schwarzbär auf einer Heide graste, wie eine wilde Kuh. Träume wurden hier wahr. Wenige Nächte zuvor hatte ich einen Traum
gehabt, in dem wir eine ganze Horde grasender Bären hatten bewundern können. Unsere Glückssträhne war fast schon unverschämt!
Mittags machten wir eine Wanderung im Valley of the five Lakes. Sie war weit schöner, als wir erwartet hatten. Wir gingen von See zu See, begleitet von süßen Erdhörnchen, die sich fleißig Beeren
in die Münder stopften. Der Pyramide Lake abends konnte uns schon fast nicht mehr begeistern, so übersättigt und verwöhnt waren wir von erhabenen Landschaften und possierlichen Tierchen.
Beeindruckender war der Fluss mit den Bergen im Hintergrund. Auf der Wiese daneben saß eine Gruppe Wapitis.
Der Maligne Canyon zum Abschluss war gewaltig. Ein reißender Wasserfall, der sich in die Schlucht stürzte.
Ich dachte immer an die Schwarzbären zurück. Der eine war etwas dreckig gewesen, der andere etwas dick.
Diese Nacht träumte ich von einem Dickhornschaf. Es stand im Nebel, die Hörner symmetrisch ausgerichtet und sah mich an.
Am nächsten Morgen fuhren wir den Icefields Parkway zurück, mit Stopps bei den Sunwapta Falls und den Tangle Falls. Nach der langen Fahrt waren wir müde. Die letzte Etappe unserer Reise sollte
nun anbrechen.
Sterne und Blumen,
Blicke, Atem,
Töne!
Durch die Räume ziehen,
ein Ton der Liebe,
Sehnsucht!
Mit verwandten Tönen
sich vermählen,
glühen,
nie verhallen
und die Blumen
und die Sterne lieben.
Gegenliebe!
Sehnsucht!
(Adelbert von Chamisso)