Im Juni 2016 drückte mir die Dame an der Abfertigung im Flughafen Calgary meinen ersten Stempel in meinen ersten Reisepass. Ich war begeistert! Kanada! Ein neues Land, ein neues Abenteuer!
Mit von der Partie waren S. und N.
Zuallererst holten wir den Mietwagen ab, einen schwarzen Jeep. Die Mitarbeiterin der Vermietung erklärte uns die Route nach Banff und ich genoss es, mal wieder Englisch zu sprechen. Wir bedankten
uns und wollten losfahren – doch eine geheimnisvolle, faltige Lady, die unser Gespräch wohl belauscht hatte, versuchte, uns aufzuhalten. Im rauen Flüsterton empfahl sie uns einen schnelleren Weg,
auf dem wir angeblich viel mehr Tiere sehen Steif lächelnd schüttelten wir sie ab. Das Risiko, uns zu verirren, war uns zu hoch!
Wir verließen Calgary, S. saß am Steuer. Ich staunte über die unendliche Weite der Landschaft. Das Weidevieh, Kühe, Ochsen und ebenso die Pferde hatten so viel Platz. Mit Gram dachte ich an die
beengten Ställe in deutschen Landen.
Nach kurzer Fahrt erreichten wir den Nationalpark Banff und wenig später Banff selbst, wo wir unser Quartier gebucht hatten. Die Stadt war umgeben von Bergen, den berühmten Rocky Mountains, die
wie Riesen in die Höhe ragten.
Noch am Abend machten wir einen Abstecher zu den nahe gelegenen Vermillion-Lakes. Das Wetter war uns hold: Die Sonne schien zwar und es war mild, doch es war zu kalt für Mücken, vor denen man uns
gewarnt hatte.
Am nächsten Tag brachen wir zum Johnson-Lake auf. Im Bow-Valley-Provincial Park fanden wir Frauenschuhe (Orchideen, wohlgemerkt) ohne Ende. Zwei alte Frauen, die dort auch ihr Botanikerglück
versuchten, wiesen uns auf die Grassi Lakes hin, die wir gar nicht auf dem Programm hatten. Wir folgten dem Tipp und siehe da – es war das reinste Orchideenparadies. Neben Wasserfällen und
farbenreichen Seen zählte S. ganze neun Arten und verbrachte den Großteil der Zeit am Boden, im Gras, zwischen den Büschen, um die Schönheiten abzulichten. Wir schwebten im siebten Himmel. Jetzt
fehlte eigentlich nur noch die heiß ersehnte, sagenumwobene Calypso, die wir mehr als alles andere sehen wollten.
Abends fuhren wir schließlich zum Two-Jack-Lake. S. hatte mir für die Reise eine Kamera geschenkt, mit der ich auch hervorragende Videos drehen konnte. Am See wimmelte es nur so von Präriehunden.
Sie ähneln entfernt unseren Murmeltieren, und was waren sie süß anzusehen, während sie so geschäftig aus ihren Löchern hervorkrochen, dann wieder hineinverschwanden und zwischendurch auch einfach
nur dick und faul irgendwo herumsaßen und mit zitternden Bäckchen verspeisten, was die Natur an Wurzeln, Samen und Gräsern zu bieten hatte. Sie ließen sich von so nah filmen, dass ich mein Glück
kaum fassen konnte.
Dann, sehr plötzlich, kam ein Gewitter auf. Schnell hasteten wir zurück ins Auto. Bei strömendem Regen fuhren wir durch den Wald. Im Zwielicht taucht wie aus dem Nichts ein Wolf vor uns auf!
Zumindest dachte ich das zunächst. Doch das Tier war kleiner, ein Kojote! Er befand sich mitten auf der Straße, S. bremste. Der Kojote blieb unbeweglich vor uns stehen und schien uns zu
taxieren. Wir beobachteten ihn ebenfalls. Schließlich wandte er sich ab, trabte gleichgültig an uns vorbei und verschwand lautlos, wie er gekommen war, in die Wildnis.
Im tiefen Teiche
Bespiegeln lind
Sich schwarze Sträucher,
Es weint der Wind
In Weidenbäumen …
Zeit ist zu träumen.
Ein zartes Schweigen
Scheint sanft und rein
Herabzusteigen
Vom Dämmerschein
Der Sternenrunde …
Das ist die Stunde.
(Paul Verlaine, Übersetzung Graf Wolf v. Kalckreuth)