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Paris

 

Im Februar 2017 fuhr ich mit dem Fernbus von Arnhem in den Niederlanden nach Paris, um N. zu besuchen. Meine Reise war angenehm. Ich hatte eine ganze Sitzbank für mich und konnte einigermaßen gut schlafen. Nachts irgendwann fuhren wir, bereits in Frankreich, durch Lille und ich schaute sehnsüchtig aus dem Fenster. So viele Städte gab es da draußen, die ich noch nicht kannte! Wie die Lichter leuchteten.

Um 7.15 Uhr kam ich in Paris an der Porte Maillot an. N. holte mich ab. Wir nahmen die Metro zu ihrer Wohnung bei der Porte des Lilas. Dort lernte ich den Kater Pilou kennen. Er mochte mich sofort und ich ihn. Er war ein wenig wie verzaubert. Als wüsste er etwas, das wir nur ahnen konnten. Selbstbewusst strich er uns um die Beine und sah uns bedeutungsvoll an.
Zuhause frühstückten wir Café au Lait und Pain au Chocolat. Wir hatten dazu eine Maronencreme gekauft, die wir dick auf echt französisches Baguette schmierten. Ich war glücklich und dachte an etwas, das Walter Moers einmal geschrieben hat: „Es ist nicht das Gehirn, das unser Bewußtsein bestimmt. Es ist der Magen.“ Die Maronencreme machte süchtig.
Wir gingen den Tag gemütlich an. Gegen Mittag fuhren wir nach Beaubourg, ein belebtes Viertel voller Cafés beim Centre Pompidou. Wir flanierten in der Sonne und ich stellte mir vor, in einem dieser Cafés zu sitzen und zu schreiben. Paris und Schriftstellerei – das scheint eng verbunden. Dabei könnte ich ja überall schreiben.
Vor dem Centre Pompidou, einem Komplex postmoderner Architektur, der unter anderem Frankreichs Nationalmuseum für moderne Kunst beinhaltet, standen die Menschen bis nach draußen Schlange. Wie abschreckend! Wir wollten jetzt nicht so lange herumstehen und warten. Lieber liefen wir zur Kathedrale Notre-Dame de Paris. So viele Leute auf dem Platz vor dem Bauwerk. Wir hielten unsere Taschen fest an uns gepresst, auf der Hut vor Taschendieben. Ich hatte gehört, dass auch diese Zunft mit der Zeit gegangen war und der moderne Taschendieb mittlerweile nicht mehr Portemonnaies stahl, sondern mit ausgetüftelten technischen Geräten das Geld direkt von den Bankkarten in den Geldbeuteln abzapfte. Zum Glück geschah nichts dergleichen. Zahllose Tauben flatterten hier und dort, welch ein Gewühl!
Man muss die Kathedrale gesehen haben, um ihre Pracht zu verstehen. Auf mich übten vor allem die Glasfenster eine magische Anziehungskraft aus. Wie losgelöst vom Mauerwerk schienen sie im schwarzen Nichts zu schweben, leuchtende Scherben in der Dunkelheit, die Geschichten erzählten, aufgefächert wie Rosen – weshalb sie wohl Rosetten heißen. Wir sollten an einem anderen Tag wiederkehren. Fürs Erste verließen wir die kühlen Hallen. N. wollte mir eine Buchhandlung zeigen. Sie trug den klangvollen Namen Shakespeare and Company und sah auch aus, wie man sich eine Buchhandlung aus dem Bilderbuch vorstellt. Von außen dunkelgrün verputzt, ein scheinbar kleines Lädchen, vollgestopft mit Büchern, das im Innern expandierte und kein Ende nahm. Kronleuchter hingen im Dämmerlicht von den Decken, die Folianten stapelten sich kreuz und quer an den Wänden, tapezierten jeden Zentimeter des Ladens. Ich war entzückt! Dieser Buchladen war die Erfüllung all meiner Träume! Seinem Namen zu Ehren erwarb ich ein Exemplar von Shakespeares A Midsummer Night’s Dream, das ich schon immer einmal lesen wollte. Ein kleines Büchlein mit Goldschnitt, wobei ich zu bezweifeln wage, dass es sich um echtes Blattgold handelt. Das ist mir auch nicht so wichtig. Hauptsache, es sieht so aus!
Abends schmökerte ich zufrieden in meinem Fund, während Pilou es sich zwischen uns bequem gemacht hatte und sichtlich genoss, wie sehr wir uns für ihn interessierten.

Am nächsten Morgen standen wir bereits um sechs Uhr auf und holten L. an der Porte Maillot ab. Ihr Bus verspätete sich, deshalb warteten N. und ich in einem Café und fingen dort Pokémon. Ein erlesener Zeitvertreib, der mich in meine Kindheit zurückversetzte.
Es folgte ein Tag in bester Gesellschaft und bester Umgebung. Zu dritt spazierten wir wahllos durch Paris, spitzten hier in Läden, kauften uns dort ein Gebäckstück und tranken Kaffee an der Seine.
Abends gingen wir in den Louvre. Der Gebäudekomplex war riesig und noch riesiger war das Museum selbst. Über drei Stunden verbrachten wir dort, vor allem in der ägyptischen Abteilung, die uns mit Mumien, gigantischen Pharaonenstatuen und lustigen Göttern beeindruckte. Am Ende aber landeten wir natürlich vor der mysteriös lächelnden Mona Lisa. Ein ruhiges Betrachten war nicht so möglich. Die vielen Touristen machten uns nervös.
Schließlich taten uns die Füße weh und wir waren froh, wieder nach Hause zu kommen.

Es fühlte sich gar nicht so winterlich an in Paris.
Nach einem entspannten Frühstück begannen wir den folgenden Tag mit einem Spaziergang im Park Buttes Chaumont. In der Sonne wandelten wir über Lavendel zu einem Pavillon hinauf, von wo aus wir die Wallfahrtskirche Sacré-Cœur de Montmartre sehen konnten. An der Treppe machten ein paar Hippies Musik, während wir sehr modern Selfies schossen.
Wir fuhren danach ins Quartier Latin, wo auch meine geliebte Buchhandlung zu finden war, schlenderten ziellos umher, bis wir im Literatenviertel Saint-Germain-des-Prés ankamen, eine Art noblere Variante des Quartier Latin. Hier trafen sich Intellektuelle und Künstler in den berühmten Cafés wie dem Café de Flore oder dem Procope. Pablo Picasso, Ernest Hemingway, Jean-Paul Sartre und andere saßen hinter diesen Scheiben. Was sie wohl getrunken haben? Kaffee? Alkohol? Immer den Stift, den Pinsel dabei?
Mir gefielen die belebten Gassen. Es machte Spaß, die Menschen zu beobachten. Zu diesem Zweck begaben wir uns auch ins Le Bon Marché, dem ersten Shopping-Center der Welt, das heute überteuerte Kleidung anbietet, die wir uns mit großem Vergnügen ansahen. Unglaublich, wie hässlich Schuhe sein konnten!
Abends fanden wir nach Notre Dame zurück. Wir hörten dort ein kostenfreies Orgelkonzert. Ich versank in der Bank, in meinen Gedanken, in den gewaltigen Klängen.

Für den nächsten Tag hatten wir einen Ausflug geplant und wollten Paris verlassen. Wir hatten Versailles im Visier. Zugarbeiten zwangen uns, einen Ersatzbus zu nehmen. Das führte uns glücklicherweise direkt am Eiffelturm vorbei. Riesig ragte er vor uns auf. In Bellevue stiegen wir in einen Zug um und fuhren endlich nach Versailles. Wir mussten noch eine Weile durch die Stadt laufen, aber bald sahen wir das Schloss in der Ferne. Wir standen ewig an, doch die Sonne schien, und ich konnte noch ein paar Pokémon fangen (es gab vor allem Eisschweine, der Jahreszeit entsprechend).
Das Schloss war monströs. Wir liefen und liefen durch Antechambres, königliche Gemächer und prunkvolle Schlafzimmer in allen Farben. Der Höhepunkt der Besichtigung war der Spiegelsaal und das übergoldene Schlafgemach Ludwig des XIV.
Danach flanierten wir durch den Garten. Wir kauften uns ein paar Macarons und verspeisten sie genüsslich im Gehen. Dabei bewunderten wir die Brunnen, die lustig zugeschnittenen Bäume und L. ahmte die Metamorphose der Frösche nach. Ich lachte, bis mir die Tränen kamen.
Als es allmählich dunkel wurde, machten wir uns auf den Heimweg. Wieder taten uns die Füße weh.

Meine Ferien in Paris gingen viel zu schnell zu Ende. Schon war der letzte Tag hier angebrochen.
Wir fuhren mit der Metro in die Stadt und gingen nach Saint-Eustache, die als die bedeutendste Pariser Kirche des 16. Jahrhunderts gilt. Mich faszinierte die riesige Orgel, die auch eine spannende Geschichte aufzuweisen hatte: Unter anderem erlitt sie einen Brand im Jahr 1844, als dem Konstrukteur eine brennende Kerze in die Orgel fiel. 101 Register zählte das Instrument und über 8000 Pfeifen.
Wir wollten uns noch etwas gönnen und landeten so bei Pierre Hermé, einem der renommiertesten Konditoren von Paris. Hier bekamen wir Macarons, wie ich sie noch nie zuvor gekostet hatte. Sie zergingen auf der Zunge wie Butter, die Geschmacksnuancen waren fein und ausgewogen, aber auch überraschend. Trop délicieux!
N. hatte dann Uni. In der Zwischenzeit spazierten L. und ich zum Obelisken und zurück zum Louvre. Abschiedsmelancholie machte sich breit, während wir auf einer Bank saßen und über das Leben philosophierten.
Wir ließen den Tag zu dritt mit Cannelés und Kaffee ausklingen. Cannelés – das ist ein kleines Küchlein, gewürzt mit Rum und Vanille. In der Mitte ist ein Kern aus Pudding. Die Kruste ist dunkel karamellisiert.

Nachts nahmen L. und ich den Bus, verließen Paris und versuchten, das Schnarchen des Mannes neben uns zu ignorieren. Wenigstens waren wir nicht allein und konnten noch gemeinsam in Erinnerungen schwelgen.

 


Ich will mich treiben lassen
In Welten, die nur ein Fremder sieht.
Ich möchte erkämpfen, erfassen,
Erleben, was anders geschieht.

Ein Glück ist niemals erreicht.
Mich lockt ein fernstes Gefunkel,
Mich lockt ein raunendes Dunkel
Ins nebelhafte Vielleicht.

(Joachim Ringelnatz)