Das Wetter war uns hold, als wir uns auf den Weg zum Huanglong Nationalpark machten. Drei nicht enden wollende Stunden fuhren wir durch die Berge. Vorbei an Yak-Herden (große Rinder mit gebogenen Hörnern und sehr langem Fell) und tibetischen Dörfern. Yong erzählte uns, dass die Tibeter in diesen Höhenlagen kaum Gemüse anbauen können, weil es hier nicht wuchs. Sie ernährten sich vorwiegend von Yak-Joghurt, Butter-Tee (bestehend aus Tee, Yak-Butter und Salz) und rohem Yak-Fleisch. Wie unterschiedlich die Menschen auf der Welt lebten!
Am höchsten Punkt hielten wir auf 4000 Meter Höhe an, um auszusteigen und die Aussicht auf die schneebedeckten Berge zu genießen. Es war so eisig, dass wir vor Kälte zu zittern begannen und froh waren, wieder im warmen Auto zu sitzen.
Huanglong bedeutet übersetzt „Gelber Drache“, weil das Tal aus der Vogelperspektive wie ein Drache aussieht und der Kalkstein gelb leuchtet. Dort angekommen nahmen wir einen Bus und fuhren anschließend mit der Kabelbahn weiter, die sich auf knapp viertausend Meter hinauf quälte. Dieses Mal bekamen wir keine Kopfschmerzen.
Kaum oben angekommen, begannen wir unsere Wanderung. Die Luft war zwar frisch, doch angenehm. Wir sahen kaum andere Wanderer, dafür scharrende Hühner, herumflatternde Vögel und quirlige Chip Munks. Einen atemberaubenden Anblick boten die Kalk-Sinter-Becken mit ihrem türkisblauen Wasser. Terrassenartig erstreckten sie sich, soweit das Auge reichte. Alte Klöster befanden sich am Rande der Becken. Den Abhang hinunter standen truppweise tibetische Frauenschuhe und hübsche Bardolphi. Der Flavum war leider nur in Knospe zu sehen.
Wir genossen unsere Wanderung! Das Abendessen im Hotel verlief diesmal ohne Zwischenfälle. Das Essen war wieder reichlich, so dass S. und ich noch einen kleinen Verdauungsspaziergang in die Berge machten.
Am nächsten Tag fuhren wir in die Danyun-Schlucht, um Orchideen zu „beobachten“, wie es so schön in unserem Programm hieß, welches die chinesische Reise-Agentur von Yong ausgearbeitet hatte.
Wir durchquerten ratlos die Schlucht. Yong kannte die Gegend ebenso wenig wie wir und wusste auch nicht weiter. Es gab weder Parkplätze noch Auskünfte. Wir sahen, wie Yong gestikulierend mit einigen Dorfbewohnern redete.
Sie schickten uns zurück zum Huanglong, wo es ein Büro für Orchideen gab. Dort unterschrieb Yong einen Berg Papiere und es hieß, wir dürften uns einer chinesischen Forschungsgruppe aus Peking anschließen. Die Kommunikation war ziemlich seltsam, wir wurden immer wieder gemustert und fühlten uns ausgesprochen unwohl in unserer Haut. Schließlich bekamen wir doch einen Tipp, wo wir schon einmal selbständig suchen konnten. Wir fuhren zu dem empfohlenen Standort an einem Bach und fanden tatsächlich drei weitere Orchideenarten: einen schönen gelben Frauenschuh, den Cypripedium Henryi, und zwei Calanthe, eine in den Farben weiß-rosa und eine gelb-rote, die dort in großen Mengen wuchsen.
Gerne wären wir in dem märchenhaften Tal noch länger geblieben, doch die Aussicht auf eine Exkursion mit der Forschungsgruppe war zu verlockend und trieb uns zur Eile. Leider wurde dann doch nichts daraus. Die Gründe blieben uns verborgen.
Stattdessen durften wir den Garten besichtigen, in dem in Treibhäusern Orchideen aller Art wuchsen. Sie waren wunderschön, doch kultivierte Orchideen gab es auch an anderen Orten zu sehen. Wir wollten sie an ihren Standorten entdecken.
Das Wetter war sehr wechselhaft. Die Sonne brannte vom Himmel; doch plötzlich kam ein böiger kalter Wind auf, so dass wir abwechselnd schwitzten und dann wieder froren. Dazwischen donnerte es bei strahlendem Sonnenschein.
Als wir das Tal verließen, war die Straße, die bei der Hinfahrt problemlos zu befahren war, an einigen Stellen von großen Steinen übersät. Yong schaffte sie mit bloßen Händen zur Seite. Er ließ es nicht zu, sich von uns helfen zu lassen.
Die Felswände ragten steil und unheimlich entlang der engen Straße auf. Bei einem schweren Gewitter wollte ich hier nicht unterwegs sein.
Wir kamen jedoch unbeschadet aus dem Tal heraus und fuhren zurück in die Berge, über den 4000-er-Pass, den wir auf der Herfahrt schon überquert hatten. Das Wetter war wieder auf unserer Seite. Bei blauem Himmel konnten wir die schneebedeckten Spitzen der Berge sehen.
In einem kleinen Dorf wollten wir übernachten. Vor dem Abendessen sahen S. und ich uns noch die Umgebung an. Wie aus dem Nichts galoppierten plötzlich zwei wilde Pferde auf uns zu. S. konnte sich gerade noch mit einem Sprung in einen Graben retten, um nicht über den Haufen gerannt zu werden. Die schwarze Stute und ihr Fohlen blieben stehen und wendeten ihre Köpfe. Das Fohlen musterte mich neugierig und unverwandt.
Wie zufällig trafen wir in einem Restaurant wieder Yong und unseren Fahrer. Yong bestellte für uns. Alles war sehr lecker. Interessant schmeckte auch das luftgetrocknete Yak-Fleisch, das wir als Probierhäppchen bekamen. Gar nicht mal schlecht!
Wahr ist das Meer,
wahr ist das Gebirge,
wahr der Stein,
wahr der Grashalm –
aber der Mensch?
Er ist immer maskiert,
auch wenn er es nicht will
und nicht weiß.
(Luigi Pirandello)