· 

Bologna

Bologna trägt nicht umsonst auch den Beinamen „La grassa“, die Fette. Feinschmecker nennen die oberitalienische Stadt so, denn hier gibt es eine fast nicht zu überschauende Anzahl von Köstlichkeiten.  Wenn  ich daran zurückdenke, dann läuft mir noch heute das Wasser im Mund zusammen.

Es war Abend, als L. und ich aus dem Zug stiegen und vom Bahnhof zu unserem Quartier liefen. Unsere Gastgeberin hatte uns umsonst davon  zu überzeugen versucht, dass es schneller und sicherer sei, den Bus zu nehmen. Wir hatten, wie fast immer, keine Lust zu fahren und gingen lieber zu Fuß. Obwohl wir uns so widerborstig gezeigt hatten, wurden wir herzlich empfangen. Es war schon sehr spät geworden, deshalb begnügten wir uns zum Abendbrot mit einem Salat.  Weil ich noch hungrig war, stöberte ich in einem der Küchenschränke nach Essbarem. Und ich wurde fündig. Eine noch verschlossene Tüte Seplicissimi, Biscotto al miele d’Acacia. War es der Hunger, den ich hatte, jedenfalls war das das Leckerste, was mir seit langem untergekommen war. Was gäbe ich jetzt dafür, wenn ich  nur einen von ihnen verspeisen könnte!

Doch nach einem langen Reisetag lockten uns schlussendlich doch die weichen Betten. L. und ich schliefen ruhig und zufrieden ein.

 

Es war Halbzeit. Die Hälfte unserer Italien-Reise lag nun hinter uns. Oder noch vor uns.

Wir frühstückten gemütlich in unserem Airbnb.  Gestärkt durch zwei Tassen Kaffee und Toast mit Honig und Marmelade begann unsere Bologna-Tour. Wir liefen über die Piazza Nettuno zum Neptunbrunnen. Neptun, dessen Dreizack auch das Markenzeichen der einst in Bologna ansässigen Firma Maserati  ist. Die Bibliothek Salaborsa liegt am Rande der Piazza Maggiore und ist ein ehemaliger Börsensaal,  dessen Decke im Art Déco Stil gehalten ist. Die Basilika San Petronio , die den Piazza Maggiore durch ihre riesigen Ausmaße beherrscht, ist die größte Backsteinkirche weltweit. Außergewöhnlich ist auch die Ausrichtung der Gebäudeachse nach Nord-Süd, während mittelalterliche Kirchen meist in West-Ost-Richtung gebaut wurden. Die Kirche trägt die längste Sonnenuhr der Welt, deren Meridian 67 Meter misst. Unser Museumsführer behauptete zwar, dass er Deutsch sprechen könne, doch seine Erklärungen erfolgten in einem für uns ganz und gar unverständlichen Kauderwelsch.

 

Unser Weg führte uns über die Via dell’Archiginnasio, durch den Bogengang, bis zur Basilika San Domenico. Im Viertel Quadrilatero, in dem der alte Markt liegt, entdeckten wir einen Innenhof, in dem Fingerfood angeboten wurde.  Hier ließen wir uns die erste italienische Pasta in diesem Urlaub schmecken. Lecker, mit Salbeibutter! Unser Weg führte uns zu den schiefen Geschlechtertürmen der Familien Asinelli und Garisenda. Im 13. Jahrhundert soll es hier an die 180 Türme gegeben haben. Sie sollen als Schutz- und Wehrtürme während des Investiturstreits errichtet worden sein.

Der längste Arkadengang der Welt führte uns aus Bologna heraus, den Berg hinauf, zum Kloster über der Stadt, der Basilica di San Luca. Von dort genossen wir Aussicht über die Stadt und die Berge. Wir hatten es uns auf einer Wiese gemütlich gemacht, während wir die ersten aromatischen Erdbeeren des Jahres aßen. Bäume und Büsche blühten bereits unter dem blauen Himmel, ein sanfter Wind streichelte uns. Wie schön wir es doch hatten. Noch lange saßen wir in der Sonne, bis wir uns wieder auf den Weg in die Stadt machten. In einer Bäckerei entdeckte ich  Peschine, die ich aus Sardinien kannte. Ich konnte mich zwar nur noch vage erinnern, wusste jedoch noch, dass sie köstlich schmeckten. Da waren sie nun, kleine rote Gebäcktörtchen, nicht größer als Macarons, von Zucker ummantelt, einem zarten Briocheteig in der Mitte und einem Hauch von Schokolade-Mascarponecreme. Unvergleichlich!

Wir genossen das letzte Mal unser Frühstück in der Wohnung, mit aromatischem Kaffee und Rosinenbrötchen aus der Bäckerei, in der ich am Vortag die Peschine entdeckt hatte.

Ein letzter Blick und wir verließen die Wohnung endgültig, um die Bibliothek und den ältesten Hörsaal Bolognas zu besichtigen. Wir waren überwältigt! In Leder gebundene, Jahrhunderte alte Folianten und Pergamentrollen waren zu sehen. Uralte mit Eisen beschlagene Bücher, geschützt hinter Gittern lagernd. Auch das ist Bologna, La Dotta, die Gelehrte, mit der ältesten Universität Europas. Bachelor- und Masterstudiengänge, wie auch ich sie absolviert hatte, waren in unserer Zeit nicht ohne Grund in Bologna beschlossen worden.

Wir erreichten die Santo Stefano Kirche, bestehend aus einstmals sieben Kirchen, die bereits im 5. Jahrhundert auf den Fundamenten eines Isis-Tempels errichtet wurden. Nun hieß es Abschied nehmen. Unsere unbeschwerte Zeit ging zu Ende. Wir sahen uns an und hatten beide denselben Gedanken. Wir wollten noch einen weiteren Tag bleiben.

 

Wir buchten kurz entschlossen im Hotel Casa Faccioli, gleich beim Piazza Maggiore eine Übernachtung. Ein goldener Charme haftete unserer Suite an, die den Namen Luigi trug. Vom Fenster aus blickten wir über die Dächer Bolognas, direkt auf einen der Geschlechtertürme. Wir gönnten uns ein köstliches Eis aus der Cremeria Santo Stefano und schlenderten in den Giardini Margherita, einem Park im Süden Bolognas. Im Café Serre tranken wir Cappuccino unter rosa blühenden Bäumen. Ich blickte nach oben, ein verzauberter Pinguin schien ganz oben in einem Wipfel zu sitzen. Am Ende flog er weg, entzaubert, als Krähe.

Zum Abendessen gönnten wir uns Pasta im Mercato di Mezzo, Tortelloni mit Käsesoße. Und dann? Wie sollten wir den letzten Abend unserer Reise ausklingen lassen?

Mit Aperol Spritz, dazu grüne Oliven und Pizzabrot!  Am Piazza Maggiore, mit Blick auf die Kirche, untermalt von kitschiger Klaviermusik. Ein kleiner Junge schoss aus einer Pistole Seifenblasen auf uns. Wir sahen hoch in den dunklen Himmel, wo die glänzenden Seifenblasen unter den Sternen trieben und schließlich zerplatzten.

 

Der Wecker riss uns am nächsten Morgen aus dem Tiefschlaf. Am liebsten hätten wir uns in unseren luxuriösen Betten noch einmal auf die andere Seite gedreht. Doch dank der nächtlichen Zeitumstellung hatten wir eine Stunde verloren. Der Blick aus dem Fenster zeigte zarte Morgenfarben am Himmel, hellblau, orange und rosa, und darüber ein bleicher  Mond. Durch das noch schlafende Bologna liefen wir zum Bahnhof. Wir stießen auf eine freundliche Bar, die geöffnet hatte, Onda Marina.  Wir bestellten unser letztes Frühstück in Italien, Expressi im Stehen und Plundergebäck mit Vanillecreme. Als Reiseproviant  zwei Spinat-Käse-Arancini. Wir suchten uns im Zug ein Damen-Abteil. Eine junge Frau schlief am Fenster. Kaum, dass wir Verona erreicht hatten, wich das grüne Italien einer rauen Berglandschaft. An der Porta Nuova hatten wir einen längeren Aufenthalt. Felsiger wurde das Gebiet, in das wir danach gelangten. Der Zug eilte am Fluss entlang, in den Winkeln der Berge versteckten sich alte Schlösser. Blühende, weiße Bäume dazwischen. Halt in Rovereto. Die Sonne warf ihre Strahlen auf die Hänge des Gebirges, alles schien in einem diffusen Licht zu liegen. In Trento erkannte ich hoch oben auf einer Felsspitze den weißen Pavillon von der Hinfahrt wieder. Eine Servicekraft schob einen Kaffeewagen an unserem Abteil vorbei  und wedelte mit dem Kaffeepulver vor unserer Nase. Eine rote Burg am Rande des Abgrunds und Schnee auf den Bergspitzen flogen an unserem Fenster vorüber. Vorbei an Bolzano, am Pfannenstiel-Hof. Der Tunnel verschluckte uns. Es wurde dunkel. In meinen Ohren knackte es. Wir erreichten Brixen, wo ich einst mit meiner Mutter und einem kaputten Auto gestrandet war. Ich hatte Märchen aus Tirol in einem kleinen Hotelzimmer gelesen, während wir darauf warteten, dass das Auto repariert würde.

Einsame, verstreut liegende Hütten lagen vor dem Brenner.  Ankunft in Brennero, wo grauer, dicker  Schnee lag. Unser letzter Halt in Italien. Die Berge ragten hoch in den Himmel, Brücken schwangen sich über die Schluchten, der Nadelwald drängte sich die Felsen hinauf. Wenig später erreichten wir Innsbruck, das von eingeschneiten Bergriesen eingekesselt vor uns lag. Ein Herr gesellte sich zu uns in unser Damenabteil. Er erzähle seiner Begleitung vom Karwendelgebirge. Fast unbemerkt fuhren wir über die Grenze nach Deutschland.

In München trennten sich unsere Wege. L. nahm den Zug nach Stuttgart, ich den nach Nürnberg.

 

 

Als Kind sang eine Muschel

mir das Meer.

Ich konnte träumelang

an ihrem kühlen Munde lauschen.

Und meine Sehnsucht wuchs

und blühte schwer,

und stellte Wünsche und Gestalten

in das ferne Rauschen.

 

(Francisca Stoecklin)