In Italien konnten wir immer ganz entspannt mit dem Zug reisen. Keine Verspätung, kein ewiges Im-Voraus-Buchen-müssen – wir gingen einfach an den Automaten, lösten ein Ticket und stiegen ein.
Nach Padua wollten wir, Padova, am Rande der Po-Ebene, 30 km westlich von Venedig, eine der ältesten Städte Italiens. Nach römischer Überlieferung wurde Padua 1184 v. Chr. von dem Trojaner Antenor gegründet, der Menelaos und Odysseus gastfreundlich in Troja aufgenommen und unter seinen Schutz gestellt hatte. Es war sein Vorschlag, die von Paris mit ihrem Einverständnis nach Troja entführte Helena zurückzugeben, um Frieden mit den Griechen zu schließen. Es kam anders. Im Trojanischen Krieg sollte der Unglückliche sieben seiner elf Söhne verlieren.
Mit dem Zug fuhren wir also nach Padua, wo der Himmel blau war, Palmen in der Stadt wuchsen und am Ufer des Flusses Bacchiglione kleine Boote lagen, die mit roten Tüchern verhangen waren. Gelbe Blumen blühten auf den Wiesen.
Wir besichtigten die Chiesa degli Eremitani, die Kirche der Eremitani. Die Augustiner Eremiten waren ein Bettelorden des Spätmittelalters. In der Kirche waren nur noch traurige Reste der berühmten Fresken Andrea Mantegnas zu sehen. Der größte Teil wurde bei einem alliierten Luftangriff 1944 zerstört.
Die romantisch-gotische Basilica di Sant Antonio, die Basilika des Heiligen Antonius, entschädigte uns dafür umso mehr. Sie war wunderschön. Der Kandelaber aus Bronze, das Kruzifix von Donatello, die Fresken und Bilder! Was für eine Decke! Die gesamte Kirche erzählte Geschichten in Bildern, es war herrlich. Kaum verwunderlich, dass sie zu den meistbesuchten Heiligtümern Italiens zählt. Ergriffen liefen wir durch die Seitenkapellen, um nach dem Besuch des Kreuzgangs der Magnolie, in dessen Mitte ein riesiger 200 Jahre alter Magnolienbaum stand, die Kirche zu verlassen.
Wir näherten uns neugierig dem Prato della Valle-Platz, der mit italienischen Essensständen lockte. Wir freuten uns auf unsere Cappuccini und saßen am Wasser, eingerahmt von Statuen, auf deren Köpfen Tauben saßen und interessiert auf uns hinabblickten. Wir ließen die Füße baumeln und unsere Gedanken spazieren gehen. Wie sehr wir doch von den Erlebnissen in unserer Kindheit geprägt werden! Wenn L. sich die perfekte Auszeit vorstellte, so landete sie unweigerlich in Südfrankreich, in einem kleinen verwunschenen Haus mit Fensterläden. Irgendwo am Rande eines duftenden Lavendelfeldes. Doch nicht allzu fern von romantischen Dörfern und Städtchen gelegen, um sich dort kulturell verwöhnen zu lassen. Ich dagegen – ich dachte an Sardinien, Eis und Pizza, Strand und Wanderungen in die Berge, Tage in der Sonne, einen Kirschbaum auf der Terrasse, heimatlose Hundewelpen, die mir zugelaufen waren und die später den Abschied noch schwerer machen sollten. Doch es war nicht nur die Ferienzeit, die uns in unserer Kindheit geprägt hatte …
L. sah auf ihre Uhr und stand auf. Es war schon spät und wir wollten ja heute noch nach Bologna.
Am Horizont ging langsam die Sonne unter, während wir zum Bahnhof liefen. Wir stiegen in den nächsten Zug.
Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.
Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.
(Rainer Maria Rilke)