Bon Iver singt: It might be over soon, soon, soon, where you gonna look for confirmation? And if it’s ever gonna happen, so as I’m standing at the station, it might be over soon.
Ich habe Kaffee und den Blick auf den Herkules. Nichts ändert sich hier, außer dem Spiel der Wolken, der Musik und dem Flug der Vögel.
Die letzte Etappe der USA-Reise brach an: Port Angeles.
Wir checkten in unserem Motel in Forks aus und machten uns auf den Weg zum Sol Duc Wasserfall. Genau genommen teilt sich hier der Sol Duc River in mehrere Seitenarme auf und ergießt sich ins Tal. Der Weg führte uns wieder einmal durch feuchten Regenwald. Nach wenigen Metern stießen wir auf eine Abzweigung. Neugierig folgten wir dem entdeckten Weg. Ein Rundweg, wie sich später herausstellte. Völlig unerwartet trafen wir wieder auf die pazifische Korallenwurz. In den unterschiedlichsten Variationen: kleine, feine violette Blüten, melancholisch in der Schwebe, an langen, dünnen Hälsen, auch einige komplett weiße waren zu sehen. Immer, wenn man nicht damit rechnete …
Inzwischen waren wieder dunkle Wolken aufgezogen – kaum, dass wir im Auto saßen, fing es auch schon an zu regnen. Insgesamt hatten wir ja mit dem Wetter Glück gehabt. Ein Urlaub im Olympic National Park ist meistens von sehr viel Regen und Nebel geprägt.
Bis Port Angeles fuhren wir an die 50 Meilen. Dort angekommen konnten wir von unserem Hotel aus auf die Salish Sea blicken – herrlich. Dort verläuft schon die Grenze zu Kanada.
Nach einer Pizza brachen wir zum Salt Creek Park auf, früher Camp Hayden. Im zweiten Weltkrieg war es ein Militärlager. Am Horizont sah man
schon die Berge Kanadas. Das Wasser türkisblau, und eine einsame Insel inmitten der Bucht.
Auf der Heimfahrt strich eine Eule lautlos durch die Dämmerung und landete sanft auf einem Baum neben der Straße.
An unserem vorletzten Tag fuhren wir zur Hurricane Ridge, einem gewaltigen Gebirgskamm. Schneebedeckte Gipfel, soweit das Auge reichte. Bei der Einfahrt in den Olympic National Park warnte man uns, dass eine Bärin mit ihren Jungen unterwegs sei und wir beim Wandern Lärm machen sollten, damit sie uns nicht zu nahe käme. Wir sollten einen Bären treffen? So richtig dran glauben konnten wir nicht.
Wir waren schon einige Zeit gelaufen; hatten da und dort Chipmunks und Vögel fotografiert, als wir auf ein amerikanisches Pärchen stießen. Die beiden zeigten auf den entfernt liegenden Hang und fragten, ob wir auch einen Bären erkennen könnten. S. nahm sofort seine Kamera und schaute durch das Teleobjektiv. Und tatsächlich! Eine Schwarzbärenmutter und zwei herumtollende Bärenkinder waren zu erkennen. Bären sind gefährlich, erst recht, wenn sie Junge haben. Vorsichtig versuchten wir etwas näher heran zu kommen. Aus gebührender Entfernung konnten wir sie wunderbar beobachten. Eins der Bärenkinder rannte schnell und verspielt den Hang hinunter. Überschlug sich dabei fast. Hirsche hetzten erschrocken über die Wiese, weg von Mutter Bär und den Kleinen. Was für ein Erlebnis!
Leider mussten unbelehrbare Touristen mit ihren Handys den Bären für ein Foto unbedingt möglichst nahe kommen. Schließlich griffen Ranger ein. Auf der Fahrt zurück ins Tal begleitete uns neben der Straße eine Hirschkuh mit ihrem weißgefleckten Kitz.
Zurück am Salt Creek erlebten wir von der Crescent Beach aus einen wunderschönen Sonnenuntergang. Die einsame Insel, fast schwarz vor dem blau-violetten Wolkengebirge, hinter dem die Abendsonne schwach schimmerte.
Zwei Hirsche liefen langsam über den Strand, um vorsichtig eine Wasserzunge zu überqueren.
Der letzte Tag unserer Reise war angebrochen. Wie schnell waren doch diese drei Wochen vergangen. Ein letztes Mal machten wir uns auf den Weg zum Crescent Beach. Endlich Ebbe! Die Insel lag frei im Sand, die Steine sichtbar und überzogen mit glitschigen, grünen Algen und anderem Seegemüse. Ich kletterte bis zum Rand. Muscheln knackten unter meinen Füßen und Krebse krochen aus den Steinnischen. Bei meiner Wanderung zum Festland begegneten mir zwei Waschbären. Einer war sehr zutraulich und ließ sich von mir bei seiner erfolgreichen Nahrungssuche nicht stören. Flink öffnete er mit seinen Krallen die stachligen, violetten Schalen und puhlte die Seeigel heraus, um sie sofort zu verspeisen.
Die Bucht war ein einziges Tierparadies. Raben griffen sich Muscheln, flogen in die Höhe und ließen sie auf den Fels fallen, damit sie aufbrachen. Anschließend wurde das Fleisch herausgepickt. Im nahegelegenen Wassertümpel, der von einem Bach gespeist wurde, beobachteten wir lange einen Otter, der unermüdlich kleine Fische fing und fraß. Eine Gänsesäger-Mutter suchte mit ihren Küken schnell das Weite. Seeadler überall! Sie saßen stolz auf Pfosten und Bäumen, als warteten sie darauf, fotografiert zu werden. Schwalben flogen dicht über das Wasser. Ich fand einen kleinen Mini-Seestern. Ausgelassen schlitterte ich auf Algen herum und ließ die Natur auf mich wirken.
Zum Abschluss fuhren wir ins Elwha-Tal. Dort lief eines des größten Projekte zur Wiederherstellung der dortigen Ökosysteme, die vom National Park Service jemals in Angriff genommen wurden. Die Staudämme des Elwha Rivers wurden zurückgebaut, um den Lachsen wieder die Rückkehr zu ihren Laichgebieten zu ermöglichen. Die Madison Creek Wasserfälle konnten wir nur bei strömendem Regen bewundern.
Schließlich fuhren wir nach Tacoma, nahe Seattle. Am nächsten Tag würde hier unser Flugzeug Richtung Deutschland abheben.
Die Zeit im Nordwesten der USA war wunderschön, aber nun freuten wir uns auf zuhause.
Und heute? Wie eng doch alles geworden ist. Wie fehlt mir diese Zeit in der Weite! Und die Unbeschwertheit! Die paradiesische Bucht am Ende der Welt, die Waschbären, die Raben, die Bären und Hirsche. Ich vergesse nicht, wie ich dort stand, am Rande des Meers und in die untergehende Sonne sah.
Ob ich je wiederkehren werde?
Ich bin das Land,
meine Augen sind der Himmel,
meine Glieder die Bäume,
ich bin der Fels, die Wassertiefe.
Ich bin nicht hier,
um die Natur zu beherrschen
oder sie auszubeuten.
Ich bin selbst Natur.
(Squan'na'vai, Medizinmann der Navajo)