Während der Corona-Pandemie habe ich viele Dinge neu entdeckt: Musik hören, lesen, Yoga machen. Alles intensiv und mit Ruhe. Ebenso ruhig und ein wenig sehnsüchtig denke ich an die USA-Reise zurück.
Im Mai 2019 verließen wir unser Motel am Rande des Highway 97 North in Chemult, wo nur etwa 300 Leute wohnten, und fuhren nach Bend, einer über 90.000 Einwohner zählenden Stadt im Deschutes County in Oregon. Wir hatten immer noch keinen Ersatz für unsere Stromadapter, die wir in Grants Pass vergessen hatten. Hoffentlich würden wir in Bend geeignete Zwischenstecker bekommen.
Wie so oft in diesem Urlaub, war der Weg das Ziel. S., immer auf der Jagd nach Fotomotiven, konnte bald einen Bussard formatfüllend fotografieren, wenig später auch noch einen Geier.
Unser erster Stopp war beim Lava Lake, wo wir uns trotz der Mückenschwärme auf einen Steg inmitten des Sees wagten. Drei Berge ragten dahinter auf: die Three Sisters, Broken Top und Mount Bachelor. Allesamt erloschene Vulkane der Kaskadenkette.
In einem freundlichen, kleinen Shop am See kauften wir drei Muffins und Kaffee. Danach fuhren wir gestärkt weiter; vorbei am Elk Lake und hin zum Devil’s Lake, wo noch Schnee an den Ufern des türkisblauen Wassers lag. Die Schneedecke wurde höher, je weiter wir kamen. Schließlich stießen wir auf ein Naturschauspiel im Deschutes National Forest, das uns völlig überwältigte: ein Hochmoor, hinter dem der Mount Bachelor thront. Ein Vulkan, von dem man nicht weiß, ob er wirklich erloschen ist. Zahllose Kanadagänse schnatterten erbost, als zwei Wanderer mit ihrem Hund vorbeiliefen. Weiße Wolken türmten sich in scharfen Konturen am Himmel, von der Sonne hell erleuchtet. Der Berg schimmerte bläulich, sein Gipfel war mit gleißendem Schnee bedeckt.
Den weiteren Straßenverlauf kennzeichneten die schwarzen Basalt-Lava-Brocken an den Fahrbahnrändern. Wie S. sagte: Die Kaskaden sind ein wahnsinnig abwechslungsreiches Gebirge.
In Bend fuhren wir zuerst zu einem Elektro-Laden, in der Hoffnung, dort die dringend benötigten Adapter zu bekommen. Im zweiten Geschäft wurden wir dann fündig. Uns fiel ein Stein vom Herzen. Kameras sind heutzutage stromhungrig und ohne geladene Akkus wäre kein Foto mehr zu machen gewesen.
Die Dämmerung war noch nicht hereingebrochen. So nutzten wir die Zeit, um zu den Tumalo Falls aufzubrechen. Der Himmel war inzwischen dunkel und bedrohlich geworden. Es sah nach einem Gewitter aus. Während der Fahrt zuckte der erste Blitz über den Himmel; leichter Regen setzte ein. Das Donnergrollen folgte wenig später.
An den Tumalo Falls angekommen, sahen wir, dass das Wasser aus wenigstens 30 Metern Höhe in die Tiefe stürzte. Ein schlammiger Pfad führte uns ganz nah an den Wasserfall heran, wo wir richtig nass wurden.
Wir flohen vor dem Gewitter in unser Hotel in Bend. In einem IHOP-Restaurant aßen wir zu Abend. Draußen auf den Wiesen konnten wir kleine, kugelrunde Murmeltiere beobachten, die fröhlich an Wildpflanzen knabberten. Dazwischen duckte sich ein Kaninchen.
Am nächsten Tag brachen wir in die Painted Hills auf. Der Weg dorthin war, wie immer wieder auf dieser Reise, voller Überraschungen: ein Fischadler, Pelikane, die in gedrängter Formation auf dem Wasser trieben, und Red-winged Blackbirds flogen pfeilschnell durch die Luft.
Die Painted Hills waren überwältigend! Welche Farben! Rot, grün, violettes Gestein – man konnte sich nicht satt sehen! Ich verstand, warum dies eins der sieben Wunder von Oregon ist.
Wir liefen zu einem kleinen Aussichtspunkt. Der Wind, der uns entgegenblies, war so stark, dass ich überlegte, mir eine Mütze aufzusetzen. Plötzlich wurde es heiß, schwül und drückend. Ich trank enorme Mengen Wasser. Ich hatte den Eindruck auszutrocknen. Ich hatte das Bedürfnis immer weiter zu trinken, um den Durst zu löschen. Bei diesen heiß-trockenen Temperaturen schleppten wir uns mehr, als dass wir gingen, zum Red Hill und zum White Hill. Ein großer roter Aschekegelvulkan und ein kleiner weißer Gesteinshügel.
Im Anschluss begaben wir uns auf den Leaf Hill Trail, wo wir versuchten, eine erstaunlich laute Grille zu lokalisieren. Gleich zwei von ihnen konnten wir entdecken: groß, schwarz und gut getarnt an einem Baum. Sie fühlten sich von uns gestört und flogen uns plötzlich mitten ins Gesicht – wie habe ich gekreischt! Das kam von unserer Neugier!
Wir waren auf dem Painted Cove Nature Trail unterwegs, einem kurzen Rundweg, der uns zu markanten Aussichtspunkten führen sollte – da fing es an zu donnern. Wie aus dem Nichts kam ein böiger, starker Wind auf. Wir rannten zum Auto zurück und sprangen hinein, ehe uns das Gewitter einholen konnte.
Wie mir das alles fehlt. Die Farben der Painted Hills, der dunkle Himmel darüber, wie aus einem verlorenen Paradies.
Mein kleines, geliebtes inneres Kind:
Wie lange schon habe ich dich vergessen,
habe deine Tränen nicht getrocknet,
und dein Lachen nicht gehört?
Ich wusste nicht, dass du noch in mir lebst
und die gleichen Sehnsüchte hast wie damals,
einfach nur gehalten werden,
einfach nur über eine Wiese rennen und Schmetterlinge fangen.
Träumen und Wolken beobachten,
gut sein ohne etwas leisten zu müssen.
Bitte verzeih mir, dass ich dich vergessen habe.
(aus dem Gebet eines Medizinmanns)