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Chemult

Während eine glühende Abendsonne auf das sommerlich trockene Kassel scheint und Alanis Morissette in meiner Wohnung singt, erinnere ich mich an den Crater Lake.

Wir hatten unser Quartier in Grants Pass verlassen – und damit leider auch unsere beiden Strom-Adapter, mit denen wir unsere vielen, schönen Geräte an die amerikanischen Steckdosen anschließen konnten.

Das sollten wir jedoch erst viel später merken. So brachen wir vollkommen unbeschwert und fröhlich Richtung Crater Lake auf. 100 Meilen vor uns liegende Fahrtstrecke zeigte uns das Navi an. Wieder zogen Geier am Himmel ruhig ihre Kreise. Wir fuhren auf endlos langen Straßen durch die weiten Wälder. Beim Crater Lake National Park hatte es schon tüchtig geschneit. Bis zu zwei Meter hoch türmten sich die Schneemassen an den Straßenrändern. Annie Falls in Klamath County. Da hielten wir an und ich dachte an meine Katze zuhause, die auch Annie heißt. Wir blickten in das Tal hinab, in das sich der Wasserfall ergoss. Einer der größten Fälle des von Wasserfällen so reichen Bundesstaats Oregon.  Wir lösten uns von dem Anblick. Denn nun ging es wirklich hoch zum Crater Lake, der an diesem Tag in Nebel schlummerte. Manchmal kam die Sonne durch – aber immer nur kurz. Das Wasser schimmerte mal silbern, mal bläulich, mal türkis. Die hier lebenden Vögel konnten wir durch das Fernglas gut beobachten; unter anderen den blauen Diademhäher.

Der Schnee lag überall sehr hoch, so dass die meisten Wege unpassierbar waren und Wandertouren unmöglich. Plötzlich prasselte ein Hagelschauer auf uns nieder und ein eisiger Wind trieb uns die Hagelkörner schmerzhaft ins Gesicht. Der Crater Lake gefriert fast nie zu. Vermutlich, weil er mit einer Tiefe von 592 Metern genug von der Sommerwärme speichern kann. 1949 hatte sich zuletzt eine Eisfläche gebildet. Das Wasser ist tiefblau und klar. Es gilt als das reinste Wasser Nordamerikas.

Mit diesem Vulkansee hatten wir auch unseren höchsten Punkt der Reise erreicht – über 2000 Meter hoch liegt der Krater-See. In der Mitte schwimmt Wizard Island, die Zauberer-Insel, die wiederum ein kleiner Vulkan im Krater des Vulkans ist.

Wir fuhren weiter zu unserem nächsten Motel nach Chemult – und auf der Fahrt fiel mir plötzlich ein, dass ich den so wichtigen Adapter in Grants Pass vergessen hatte. Und wie es nicht komischer sein konnte, hatte auch S. den zweiten ebenfalls in einer Steckdose zurückgelassen. Jetzt konnten wir nur noch hoffen, dass wir im nächstgrößeren Ort einen passenden Adapter kaufen konnten – denn hier waren wir wirklich direkt an der Straße mitten im Nirgendwo.

Irgendwie war das alles trotzdem sehr spannend. Man muss im Urlaub alles so nehmen, wie es kommt! Und eigentlich im ganzen Leben.

 

Unser nächster Tag war der Tag der Wasserfälle. Wir verließen unser Quartier ohne Frühstück. Wir waren noch satt von unserer Pizza am vergangenen Abend. Und wurden Zeugen einer grausamen Szene.  Zwei kleine Vögel wollten einen Raben von ihrem Nest vertreiben, doch ohne Erfolg. Immer wieder erwischte der große schwarze Vogel eines ihrer Jungen, das in höchster Not laut und hoch schrie. Schrecklich, wie gnadenlos die Natur sein kann.

Doch wir waren noch am Leben und fuhren quicklebendig Richtung Glide, einem kleinen Ort in Douglas County.  Erster Stopp: der Diamond Lake. Dort sahen wir schon aus dem Auto heraus Schwärme von Mücken. Die Aussicht auf Stiche und juckende Haut veranlasste uns, die Fahrt ohne längeren Halt fortzusetzen. Rasch erreichten wir die ersten Wasserfälle, die Clearwater Falls. Sie tragen ihren Namen zu Recht: Das Wasser ist wirklich ganz klar und ein wenig hellblau.

Dann die White Horse Falls. Es war wie in einem schönen Traum. Ich stand in der Sonne, mein Gesicht im Sprühregen des Wasserfalls, während A. und S. fleißig fotografierten. Im Licht sahen die Wassertropfen aus wie Schneeflocken, die mir entgegenwehten.

Schließlich: die Watson Falls (83 Meter), die Fall Creek Falls und die Susan Creek Falls. Auf unserem Weg zurück zum Auto schreckte ich kurz vor einer Schlange zurück, die sich vor mir über den Pfad wand.

Das Highlight der Wasserfälle kam zuletzt: die Toketee Falls. Der Name stammt aus der Sprache der Chinook-Indianer und bedeutet so viel wie elegant, anmutig.  Der North Umpqua River fließt über zwei Felsstufen wieder in sein Flussbett. Daneben stehen erstarrte Basaltsäulen.

Auf unserem Rückweg lief ein Tier über die Straße, von dem wir aus der Ferne dachten, es sei ein Wolf. Wir erfuhren später, dass in dieser Gegend keine Wölfe leben. Es musste wohl ein Kojote oder ein grauer Fuchs gewesen sein.

In der Abendstimmung genossen wir den Ausblick auf den Mount Bailey. Der Stamm der Klamath hatten den Vulkan Youxlokes genannt, was so viel wie Medizinberg heißt. Medizinmänner erklommen Mount Bailey und fasteten dort, um die Sphären ihres Seins zu verlassen und mit höheren Wesen ihres Glaubens Verbindung aufzunehmen.

Ein Mann bin ich nicht, aber den Berg würde ich trotzdem besteigen.

Was würde ich dort oben treffen?

 

 

Du hast die Erde heilig gemacht,

wie auch meinen Körper,

darum will ich in deinem Namen

die Erde heilighalten,

jeden Grashalm achten und die

Blumen und Bäume ehren.

Mit der Verehrung alles Lebendigen wächst meine Seele

und mein Leib wird stark im Rhythmus

deiner Sonne und deines Mondes.

 

(Gebet eines nordamerikanischen Medizinmanns)