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The Dalles

Während ich aus meinem Fenster heraus beobachte, wie der Himmel in Kassel sich verdunkelt und feiner Nieselregen auf die Dächer der Stadt tröpfelt, denke ich zurück an The Dalles.

Nach unserem letzten Frühstück im Hotel in Leavenworth hatte ich den Eindruck, dass ich richtig angekommen war. Keine Müdigkeit mehr, die Entspannung setzte ein, die Stimmung war gut.

Wir packten unsere Koffer und fuhren nach The Dalles, unserer nächsten Station im Wasco County, US Bundesstaat Oregon. Auf dem Weg machten wir Halt und suchten eine bestimmte kleine Orchidee. Leider vergeblich. Entschädigt wurden wir dadurch, dass es uns gelang, ein Streifenhörnchen zu fotografieren.

Einen zweiten Stopp machten wir hinter Liberty, einer kleinen Siedlung, die so aussah, als ob dort nur Cowboys wohnen würden. Wir stiegen ein Stück den Berg hinauf, wo wir einen herrlichen Blick auf die schneebedeckten Kaskaden hatten.

Lange konnten wir nicht bleiben, wir hatten noch ein gutes Stück Weg vor uns. Weiter ging es mit unserem SUV. Unglaublich, wie schnell sich die Landschaft veränderte. Wir fuhren durch karge Hügellandschaften, unendlich weite, unbebaute Flächen. Vorbei an Pferden, an Schafen, Ziegen und Rindern, die  auf ihren riesigen Weideflächen friedlich grasten. Schließlich überquerten wir den größten Fluss Nordamerikas, den Columbia River und hatten damit Oregon erreicht. Säulenartige Felsen säumten das Ufer, Basaltkegel ragten neben uns auf. Durch die Wolken konnten wir den höchsten Berg von Oregon, den Mount Hood, einsam hervorspitzen sehen. Wenig später waren wir in The Dalles und checkten im Motel 6 ein. Es war noch gar nicht so spät, deshalb stiegen wir ein letztes Mal ins Auto und machten uns auf zu den White River Falls. Niemand außer uns war da. Nur das Wasser, das weiß sprudelnd in den stillen See stürzte. Ich balancierte am Grund über rutschige Steine, und A. fotografierte mich.

Nach unserer ersten Übernachtung im Motel gönnten wir uns ein üppiges Frühstück bei Denny’s – und dann ging es über den Fluss. Die Brücke wackelte ganz schön, so weit oben … Am anderen Ufer hatten wir einen unverstellten Blick auf den Mount Hood. Die Wolken türmten sich um die schneebedeckte Spitze, so als würde der Vulkan gleich ausbrechen wollen. Aktiv ist er ja, 1782 war er zum letzten Mal ausgebrochen. Ein wenig mussten wir bei dem Gedanken schaudern. Den Surfern auf dem Fluss schien das egal zu sein, auch den Adlern, die übers Wasser flogen. Und wir dachten uns: einfach den Tag genießen.

Allmählich wurde die Landschaft wieder tropisch. In Schlangenlinien fuhren wir in die bergigen Wälder und liefen auf einem Forstpfad zu den Falls Creek Falls – hin und zurück knapp 7 Kilometer, auf 240 Höhenmetern. Ein toller Weg, und der majestätische, Wasserfall lohnte die Anstrengung umso mehr. Aus einer Höhe von 40 Metern fällt das Wasser in die Tiefe. Die Streifenhörnchen waren dort so zutraulich: Sie sprangen um unsere Füße und ließen sich von ganz nah filmen. Auf dem Rückweg trat ich fast auf eine kleine Babyschlange. Erbost fauchte und zischte sie uns an.

Schließlich machten wir uns auf den Weg zu den Lower Lewis River Falls. Das Stück Straße dorthin hatte eine Aussichtsplattform mit Blick auf den Mount St. Helens, der 1980 zuletzt ausgebrochen war. Der Berg schien nah und groß.

Bei den Lower Lewis Falls sahen wir einen kleinen Kolibri flattern. Leider war er ganz schnell wieder weg.

Danach ging es wieder Kurven über Kurven bergab, durch den dichten, tropisch anmutenden Wald. Am Straßenrand sahen wir ein Rudel Wapitis. Vielleicht fünfzehn an der Zahl, große Tiere, mit weißem Hinterteil und Bärten am Hals.

 

Der folgende Tag war der Tag des Otters. Bei Sonne brachen wir auf und fuhren durch das hügelige Weideland, aus dem der Mount Hood so völlig unpassend hervorragte. Pferde und Rinder grasten auf den Weiden, vereinzelt standen die kleinen, einfachen Häuser der Bewohner dazwischen. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, in einem dieser Häuschen zu wohnen, inmitten dieser weiten Landschaft, im Schatten des Vulkans.

Bei Wamic kreiste ein Geier über uns – die Gegend wurde nahezu mediterran. Wir waren auf der Suche nach dem weißen Montanum, einem Frauenschuh. Leider war es gar nicht so leicht, den Standort zu finden. Schließlich erreichten wir den Badger Creek Trail, ein Pfad am kühlen Bach entlang, im Tal. Genau das Richtige bei der Hitze – und der Montanum stand gleich am Wegesrand. Auf einem anderen Fleck entdeckten wir sogar noch eine neue Variante der Striata.

Unser nächstes Ziel war der Mirror Lake, in dem sich der Mount Hood, bereit für ein Foto, für uns spiegeln sollte. Das hofften wir jedenfalls. So fuhren wir hoch in die Berge, in die Wälder. An einer Tankstelle, mitten in dieser endlosen Wildnis, spielte jemand Blues aus zwei alten Lautsprecheranlagen. Eine Frau, die indianisch aussah, dunkel und mit gegerbter Haut, half uns beim Tanken.

Den Mirror Lake erreichten wir sportlich hervorragend – wir flogen förmlich hoch zum See, doch der Mount Hood versteckte sich hinter Wolken. Keine Spiegelung für uns; außerdem bewegtes Wasser. Dasselbe am Trillium Lake, an dem wir unser Glück zuletzt noch versuchen wollten. Zum Trost kreiste über dem See ein anderes Fotomotiv: der Weißkopfseeadler. Leider nicht so nah, wie wir das gerne gehabt hätten. Als er sich auf einen Baumwipfel am anderen Ufer gesetzt hatte, pirschten wir uns vorsichtig heran. Dort endlich konnte S. ihn aus guter Nähe fotografieren – und ein Amerikaner, der dort angelte, empfahl uns, sich zu setzen, dies sei die Jagdzeit des noch jungen Adlers. Gleich könnte er sich vom Baum ins Wasser auf einen Fisch stürzen. Also setzten wir uns ans Wasser. S. schoss Bild um Bild. Plötzlich sahen wir zwei Otter vor uns schwimmen. Immer wieder tauchten die beiden unter, dann wieder auf, näherten sich uns, sahen her, schwammen wieder weg. Dazu grunzte der eine uns an – wahrscheinlich wollte er wissen, ob wir was Gutes dabei hätten.

Aber wir hatten nichts. Nur unseren Blick auf ihn.

 

 

Wer die Vögel nicht achtet,

die Berge und Flüsse nicht respektiert,

wer die Erde verwundet

und die Luft, die er atmet, vergiftet,

der missachtet das wundervolle Leben.

Er vermag die schlichte Schönheit der Dinge nicht mehr zu sehen,

die mit jeder Geste des Lebens einhergeht

und den Menschen von Kindheit an  beschützt

wie ein Vogel mit goldenen Schwingen.

 

(Volksweisheit der Native Americans)