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Leavenworth

Jetzt, wo man nicht mehr reisen kann und die Welt plötzlich stillsteht, erinnere ich mich an Leavenworth. Ich war mit A. und S. zehn Stunden lang von Deutschland in die USA geflogen. Ziel war Seattle im Bundesstaat Washington. Seattle, die Stadt, am Puget Sound im Pazifischen Nordwesten, von Wasser und Bergen umgeben. Seattle, berühmt für seinen Kaffee und Geburtsort der Starbucks-Coffeeshops. Nicht, dass wir ihn probiert hätten, nein. Wir waren nicht wegen des Kaffees gekommen. Nach dem Flug standen wir erst einmal zwei Stunden in einer langen Schlange, ehe wir einreisen durften. Wir hatten keinen Kopf für diese große Stadt; suchten nur zielstrebig unseren Mietwagen und fuhren dann mit dem „kleinen“ SUV raus auf den Highway, Richtung Leavenworth. Am Himmel sahen wir den ersten Weißkopfseeadler fliegen. Wenig später, neben der Straße, einige große Maultierhirsche! Diese Weiten im Westen der USA – die großen Berge, dichte Wälder mit exotischen Farnsträuchern, Wasserfälle neben dem Highway, Flüsse … eine andere Welt!

Neugierig machten wir einen kurzen Ausflug in die Natur, um Orchideen zu suchen und die frische Luft zu schnuppern – letzteres zumindest glückte uns. Der Himmel war blau und die Bäume hoch, so unglaublich hoch.

Nach einem sehr ausgiebigen Frühstück in unserem Hotel in Leavenworth fuhren wir am zweiten Tag los zum Icicle Creek – einem reißenden Fluss in einem von Bergen umgebenen Tal. Wie wunderschön wild alles war. Beim Fourth of July Creek Trail fanden wir sogar eine Orchideenart: die Corralhoriza Striata und ein prächtiges Exemplar noch dazu. Sie trägt ein weißes Kleid mit roten Streifen – und wie alle Orchideen sieht sie einen an. Die Schachblume mit ihren sonderlichen Mustern wuchs auch dort. Da waren wir schon sehr zufrieden, aber besser war es natürlich noch, die bezaubernde Calypso zu finden, mit ihrer violetten Krone, im Perlmuttgewand. Ein ganzes Nest davon stöberten wir beim Jack Trout Trail auf.

Entspannt fuhren wir zurück zum Hotel und tranken erst einmal einen Kaffee. Vom Fenster aus sahen wir dann den Hirsch. Er stand auf der Mauer neben dem Parkplatz und äste Blätter von einem Busch. Sehr lange und unbewegt. Dieses Land. Wo Hirsche ohne Scheu unterwegs sind und Calypso uns in die Wildnis lockt. 

Ach, all diese Orte, und all diese Namen. Wir fuhren zum Fish Lake und schließlich zum Lake Wenatchee, dem landschaftlichen Highlight. Die Wolken spiegelten sich auf der Oberfläche des Sees, Steine waren in das klare Wasser gewürfelt, und eine kleine bewachsene Insel schwamm in der Mitte. Ein Streifenhörnchen posierte für uns, überall flatterten Vögel.

Auf dem Heimweg dann das Beste: S. sah am Wegrand einen Fischadler sitzen, auf einem Ast über dem Fluss.

Am dritten Tag begaben wir uns zum Hidden Lake Trail beim Wenatchee-See – und kaum, dass wir losgelaufen waren, fanden wir die Calypso en masse am Wegrand stehen. Und so ging das dann weiter. Überall Calypso, es war wie in einem Traum.

Leider gab es auch Mücken …

Der versteckt liegende See war sehr hübsch, klein und verborgen in mystisch-feuchtem Nebelschleier. Die Umrundung des Sees gestaltete sich abenteuerlich. Unter den Wurzeln der Zedern floss das Wasser zum See, der Hang war steiler als gedacht. Wir kletterten über Baumstämme, balancierten über Bäche und fühlten uns wie im Dschungel. Riesige Pflanzen, leuchtend grüne Farne und eine uns unbekannte Waldhyazinthenart begegneten uns. Auf dem Rückweg Orchideen ohne Ende. Die Corralorhiza Maculata mit fein betupften Blüten an einem langen, roten Hals. Und überall Calypso.

Auch der Twin Lake Trail wimmelte nur so von ihnen, grüppchenweise.

Von einem Aussichtspunkt aus sahen wir einen Weißkopfseeadler fliegen. So nah, dass wir staunen konnten, was für ein imposanter Vogel er ist. Bis zu den beiden Seen schafften wir es allerdings nicht – ein reißender Bach versperrte uns den Weg.

Auf der Heimfahrt lief ein Truthahn vor uns über die Straße.

Sogar vor dem McDonalds-Lokal, wo wir unsere echt amerikanischen Burger verzehrten, konnten wir zwei Hirsche beobachten, die dort vegan Blätter von einem Busch rissen.

Zum krönenden Abschluss testeten wir den Whirlpool in unserem Hotel. Genau das Richtige, nach einem doch eher kühlen Tag. Zumindest für mich alte Frostbeule.

Entspannt versank ich im Wasser.

 

 

Wenn zwei Falken auf einem Baum sitzen,

und es fliegt ein Schwarm Wildenten vorbei -

dann sagt nicht ein Falke zum andern:

 

"Schau, da fliegt die Mehrheit,

das muss der richtige Weg sein,

schließen wir uns an!"

 

Sie werden weiterhin als Falken

dem Weg der Falken folgen.

 

(Volksweisheit der Native Americans)