In Stuttgart sind an diesem Samstag so viele Menschen unterwegs, dass ich immer wieder von Passanten angerempelt werde und mich nach etwas ruhigeren Wegen sehne. Wir gehen die Königsstraße entlang, vorbei an einem Prediger, der, mit weiter Lederjacke bekleidet, laut von Gott erzählt. Schließlich gelangen wir zum Schlossplatz. Eigentlich sehnen wir uns nach einem guten Kaffee, doch die Cafés sind brechend voll. Egal. Obwohl erst Februar, ist das Wetter mild und frühlingshaft. Wir bleiben bei einer Gruppe Musikanten stehen; einem Trio, besetzt mit einem Kontrabassisten, einem Akkordeonspieler und einem Mann an einem tischartigen Instrument, das ich nicht zuordnen kann.
Was ist das, frage ich.
Ein Tisch, sagt M.
Wir wissen es nicht. Eine Mischung aus Zither und Cembalo, denke ich. Der Musiker bearbeitet die aufgespannten Saiten mit seinen beiden filzumwickelten Schlägeln.
Es ist richtig gute Musik! Wir hören begeistert zu, rätseln, wie man den Stil wohl umschreiben könnte. Swing, sagt N. Stimmt! Und Jazz, aber auch etwas von Folklore.
Wir lösen uns wieder von dem Trio und spazieren ein paar Meter weiter. Ich bleibe stehen, um den Blick aufs Neue Schloss zu genießen, das 1746 als Residenz für Herzog Carl Eugen von Württemberg von Leopoldo Retti und Philippe de La Guêpière erbaut wurde. „Die Einflüsse des französischen Rokokos und des Frühklassizismus sind nicht zu übersehen.“ Das würde ich denken, wenn ich eine Kennerin wäre. Doch so lese ich nur die Infoschilder.
Über allem thront die Jubiläumssäule. Auf ihrem 30 Meter hohen Granitsockel steht auf einer Kugel Concordia, die römische Göttin der Eintracht. Vier Löwen flankieren sie. Ihre Hand hält einen Lorbeerkranz. Sie hat Flügel.
Weiter geht es zum Karlsplatz, wo wir das Reiterdenkmal von Kaiser Wilhelm I. bewundern können. Mehr aber interessiert uns der Krempel auf dem Flohmarkt. Wir flanieren durch den vielfältigen Ramsch, bis unser Kaffeedurst so groß wird, dass wir uns nach einem Café umsehen. Wir stoßen auf Harry’s Kaffeerösterei. Der unwiderstehliche Kaffeeduft umfängt uns gleich beim Öffnen der Ladentür. Gut besucht ist das Café auch, alle Plätze sind belegt. Aufmerksam beobachten wir die Tische, während wir ein paar Häppchen der vorzüglichen hausgemachten Schokolade mit einer Pralinenfüllung à la Espresso und Crême Brûlée probieren. Endlich stehen draußen Leute auf. Ihr Tisch wird frei! Wir beschlagnahmen ihn sofort. Der Cappuccino ist köstlich; für meinen Geschmack genau die richtige Menge Milch, und dazu gibt es ein Schokoladenplättchen.
Beschwingt, mit neu erwachten Lebensgeistern machen wir uns wieder auf den Weg. Wir gehen zurück zum Schlossplatz, passieren das Opernhaus und eine junge Gänsefamilie, die kleine, flauschige Küken haben. Wir überqueren den Ferdinand-Leitner-Steg und gelangen kurze Zeit später zur Ruine des Neuen Lusthauses. Das im 16. Jahrhundert gebaute Neue Lusthaus war anscheinend einer der wichtigsten Profanbauten der Renaissance.
Eine Büste von Franz Liszt steht nicht weit davon entfernt. Er hat besonders viele Warzen im Gesicht. Schwer vorstellbar, dass Liszt seinerzeit ein Liebling der Frauenwelt war. Wir fragen uns, ob der Bildhauer dem Original gerecht werden wollte oder womöglich noch weitere Warzen hinzugefügt hat. A. lacht ob dieser gemeinen Unterstellung unsererseits.
Der Schlossgarten, eine 600 Jahre alte Parkanlage, tut uns gut nach dem Rummel in der Fußgängerzone. Enten schwimmen auf dem Teich und Gänse patrouillieren am Ufer entlang. Auf einem Ast sitzt ein Reiher.
Etwas weiter entfernt, bei einem Springbrunnen, stehen zwei Statuen von sich aufbäumenden Pferden, die von Menschenhänden gezügelt werden.
Wir laufen durch die Platanenallee. So viel blüht hier schon.
Es ist nicht mehr so mild wie vor einigen Stunden, doch wenigstens regnet es nicht. Wir kehren zurück. In einem hohlen Baum sitzt eine dunkle Taube.
Zum Bahnhof führt der Weg nur durch die viel diskutierte Baustelle von Stuttgart 21. Auf ein Poster von einem generierten Bild des zukünftigen Bahnhofgebäudes hat jemand Milliardengrab geschmiert. Die Schrift schreit uns orange entgegen.
Wir steigen in die S-Bahn und verlassen die Stadt.
Miteinander plaudern und lachen,
sich Gefälligkeiten erweisen,
gemeinsam schöne Bücher lesen,
einander mal necken,
mal Achtung bezeugen,
gelegentlich auch
Meinungsverschiedenheiten austragen,
aber ohne Hass.
Durch den selten vorkommenden Streit
die sonst meist
bestehende Übereinstimmung würzen;
einander belehren und voneinander lernen.
Das ist es, was man an Freunden liebt.
(Augustinus Aurelius)