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Leinfelden-Echterdingen

Schon wieder sucht mich diese angenehme Herbst-Sonne heim. Als ich in Leinfelden-Echterdingen ankomme, ist es beinahe schwül. Meine Mitfahrgelegenheit lässt mich wenige Meter vom Bahnhof entfernt aus dem Auto, den Rest laufe ich. Die Menschen sehen mich an, als wäre ich eine Außerirdische. Warum eigentlich? Ich kann an mir nichts Außergewöhnliches entdecken. Ein Mädchen mit Schulranzen fährt auf dem Fahrrad an mir vorbei. Alles ist friedlich und still. Ich spaziere durch ruhige Gassen bis zum Treffpunkt, an dem ich auf M. warte. Sie müsste jeden Moment mit der S-Bahn ankommen. Da ist sie schon! Gemeinsam laufen wir zu ihrer Wohnung und kochen Nudeln. Der Himmel verdunkelt sich ganz plötzlich. Dann setzt der Regen ein. Er prasselt gegen das Fenster, während wir Ravioli essen. Es ist richtig gemütlich. Endlich klart es wieder auf und das ist auch gut so, denn wir wollen uns ja auf den Weg machen. Gelbe und rote Blätter schmücken die Straßen. Wir passieren eine Eisdiele und ein Gymnasium und wandern weiter Richtung Stetten auf die Felder. Auch wo man es nicht erwartet, trifft man auf diese Flecken Erde, die einfach schön sind. Ein kleiner Pfad führt uns zwischen Pferdekoppeln hindurch. Ein braunes Pferd grast zufrieden, und ein weißes galoppiert freudig darauf zu. Alles so grün, die Luft klar, der Himmel blau. Die Bäume strecken ihre teils kargen Arme in die Höhe und schütteln Büschel von rotem Laub von sich.

 

Weite Felder liegen vor uns. Flugzeuge fliegen lärmend über uns, der Flughafen ist nicht weit von hier. Goldgelbe Ähren schwingen ganz leicht hin- und her und große Flächen sind von Weißkohl-Köpfen bedeckt. Szenen, die in Erinnerung bleiben. Das Farbenspiel der gefallenen Blätter auf dem feuchten Asphalt: leuchtend rote zwischen den gelben und braunen, manche fast weiß.

 

Doch der Höhepunkt, für den ich ja angereist bin, ist das Krautfest an diesem Freitag-Abend, das sich auch am Samstag fortsetzen wird.

 

Wieder zuhause bei M. treffen wir A. – und dann ziehen wir los zu diesem urigen Spektakel. Es gibt Kraut in allen Variationen: auf Burgern, mit Schupfnudeln, im Kebap, auf Spießen vor der Bühne, wo bald eine Band ihre Lieder singt. Die Menschen scheinen froh zu sein. Sie wollen Kraut essen und Bier trinken, und das alles bekommen sie hier. Je später der Abend, desto betrunkener die Herren. Ein junger Kerl hat einen der Krautspieße erobert. Er beißt vom rohen Kraut ab, schwingt seine Beute vor der Bühne, im Takt der Musik. Ich frage mich, wie lange die Menschen schon das Kraut feiern, vielleicht seit Jahrhunderten? Aber nein, in Echterdingen erst seit 40 Jahren. Nachdem die Band sich verabschiedet hat, gehen auch wir zufrieden heim.  

 

Am nächsten Morgen stößt N. zu uns. Wir wollen nun das Krautfest auch bei Tag bewundern. Auf hölzernen Wägen stapelt sich das Angebot von frischem Kraut, Kürbissen und etwas, das entweder Tomaten oder Hagebutten sein könnten. Der Krautkönig zieht mit seinem Rauschebart durch Echterdingen; eine Schar Kinder in alten Trachten begleitet ihn. Die weißen Strümpfe bis zu den Knien, und blaue Röcke. Es gibt sogar Bat-Kraut und Onion-Man, doch wir verstehen nicht, wen sie eigentlich beschützen. Wir gehen Deie essen, frisch aus dem Holzofen. Die Schlange vor dem Stand ist exorbitant lang, dennoch wollen wir uns diese Leckerbissen nicht entgehen lassen. Das Wasser läuft uns im Mund zusammen, während wir den Teig-Spezialitäten Schritt für Schritt näherkommen. Wir probieren eine Schnittlauch-Deie und eine Zwiebel-Deie, die perfekte Mischung aus herzhaft süß und rahmig erfrischend. Wir entdecken, dass sogar die Mülleimer als Kraut getarnt sind, und flüchten vor den Wespen, die unsere Deie haben wollen.

 

Später trinken wir Neuen Wein; er prickelt fruchtig im Mund, süffig, wie Cidre. Ich mag das. Könnte man nur immer den Tag mit Herumschlendern und Dinge verkosten verbringen.

 

Auch an diesem Abend, es ist schon dunkel, suchen wir das Kraut-Fest auf. A. hat einen guten Platz gleich beim Glühwein- und Bierausschank ergattert. Dort besetzen wir einen Tisch und stoßen an. Auf die Freundschaft. Ich fotografiere mit meinem Handy in einen roten Aschenbecher, wo Zigaretten und eine Schupfnudel samt Kraut auf Asche gebettet sind. Ich wippe zum Takt der Musik. Menschen rempeln uns an, die auch an die Theke wollen. Ausnahmsweise ist es uns egal. Die Band singt „I’m so excited, and I just can’t hide it“. Wir beobachten die Menschen in der Würstchenbude neben uns. Der Würstchen-Mann freut sich, wenn sich alle in der Würstchenbude freuen. Irgendwie schön. Stoisch und zufrieden wendet er seine Würste auf dem Grill. Der junge Mann tanzt immer dann, wenn ein Schlager gespielt wird. Diese Menschen gehören hierher. Vielleicht existieren sie ja nur auf dem Kraut-Fest in Echterdingen.

 

Am nächsten Morgen laufe ich alleine durch die klare Luft zur S-Bahn und warte mit Schwaben, Niederländern und Hunden auf den Zug. Das Kraut-Fest hat wohl international für Furore gesorgt.

 

Ich atme tief durch.

Echterdingen, adieu.

 

 

Es gibt der Worte nicht genug,

Um Heim und Heimat laut zu preisen.

Um zehn Uhr vierzig geht mein Zug.

Adieu! Adieu! Ich muss verreisen.

 

Mein Reisekoffer, frisch entstaubt,

Folgt seiner Sehnsucht in die Weite

Und hat mir freundschaftlich erlaubt,

Dass ich ihn unterwegs begleite.

 

Und Sehnsucht, Kohle und Benzin

Soll uns recht fern durch Fremdes treiben,

Damit wir denen, die wir fliehn,

Recht frohe Ansichtskarten schreiben.

 

Auf Wiedersehn! Ich reise fort.

Mein Reisegeld sucht andres, andre.

Bis ich erkenne: Hier ist dort

Und neu vergnügt nach Hause wandre.

 

(Joachim Ringelnatz)